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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Der Blick, mit dem sie mich musterte, gefiel mir gar nicht. »Wo willst du hin?«
    »Zum Fluss, Mutter, neue Exemplare für meine Sammlung suchen«, antwortete ich, während ich versuchte, mich rückwärts zu verdrücken.
    »Komm mal her«, sagte Mutter. »Das ist ja alles gut und schön mit deiner Sammlung, aber ich mache mir langsam Sorgen, dass du mit deinen Kenntnissen im Rückstand bist. In deinem Alter beherrschte ich schon die Smokstickerei, ich konnte stopfen und besaß wesentliche Grundkenntnisse der guten, einfachen Küche.«
    »Ich kann kochen«, sagte ich tapfer.
    »Was kannst du kochen?«, fragte Mutter.
    »Ich kann ein Käsesandwich machen, ich kann ein weiches Ei kochen.« Ich dachte angestrengt nach und sagte dann triumphierend: »Und ich kann harte Eier machen.«
    »Großer Gott«, sagte Mutter, »das ist ja schlimmer, als ich dachte.«
    »Was?«
    »Deine mangelnden Kochkenntnisse.«
    »Aber wieso muss ich kochen können? Viola kocht doch für uns«, sagte ich.
    »Schon, aber was ist mit später? Wenn du erwachsen bist und deine eigene Familie hast? Wie willst du sie satt bekommen?«
    Viola war immer schon bei uns gewesen, schon vor meiner Geburt, sogar schon vor Harrys Geburt. Nie war es mir in den Sinn gekommen, dass sie irgendwann nicht mehr da sein würde. Meine Welt geriet ins Wanken. »Viola kann auch für meine Familie kochen«, sagte ich.
    Einen Moment lang herrschte Stille, dann sagte Mutter: »Schon gut, du kannst gehen. Aber wir reden bald wieder über das Thema.«
    Ich rannte hinaus und tat mein Bestes, um das Gespräch zu vergessen. Trotzdem bohrte es in mir auf dem ganzen Weg zum Fluss, wie ein Zahn mit einer beginnenden Entzündung. Alle Freude war aus diesem Morgen gewichen. Mutter hatte begonnen, den traurigen Tatsachen ins Auge zu sehen: Meine Brötchen waren steinhart, die Stickerei auf meinen Mustertüchern schief und krumm, meine Säume Zickzacklinien. Ich betrachtete Mutters Leben: den Stopfkorb, der niemals leer wurde, Laken und Kragen und Manschetten, die gewendet werden mussten, Teig für zwanzig Laib Brot, der Woche für Woche zu kneten war. Sicher, sie musste die schwere Putzarbeit nicht machen, dafür hatte sie SanJuanna, und montags kam eine Waschfrau, die den ganzen Tag lang im dampfenden Schuppen hinterm Haus Wäsche kochte. Viola tötete und rupfte und kochte die Hühner, Alberto schlachtete und zerlegte die Schweine. Und doch – das Leben meiner Mutter drehte sich um die Versorgung der Familie, und das war ein nie endender Kreislauf. Niemals machte sie irgendetwas, das nicht früher oder später von Neuem zu machen war – am nächsten Tag, in der nächsten Woche oder in der entsprechenden Jahreszeit des nächsten Jahres. Oje, was für ein eintöniges Dasein!
    Der Tag sah erst ein bisschen freundlicher aus, als ich einen Edelfalter, einen Agraulus vanillae, fing. Sie sind schnell und lassen sich nur schwer mit dem Netz erwischen. Ich wusste, Großpapa wäre hocherfreut, und außerdem brachte es mich auf andere Gedanken, weg von Kochen und Stopfen. Als ich wieder zurück war, brauchte ich eine geschlagene Stunde, bis ich den zarten Körper so weit vorbereitet hatte, dass man ihn spannen konnte, und danach hatte ich komplett vergessen, was für ein unbedarftes Mädchen ich war. Das war ein Glück, denn die Kampagne, mit der ich in hauswirtschaftlichen Dingen auf Trab gebracht werden sollte, ging gerade erst los, ohne mein Wissen und ohne meine Beteiligung.
    So richtig in Schwung kam sie, als Miss Harbottle kurz darauf beschloss, dass alle Mädchen meiner Klasse ihre Handarbeiten bei der großen Landwirtschaftsausstellung in Fentress zur Schau stellen sollten. Das waren erschreckende Neuigkeiten. Nähen empfand ich als pure Zeitverschwendung, weshalb ich es mir bisher leicht gemacht und mich minimal angestrengt hatte. Wenn man nachsichtig war, konnte man meine Arbeiten als schlampig bezeichnen, so wie Petzis Kokon. Immer wieder ließ ich mal eine Masche fallen, die später an beliebiger Stelle wieder auftauchte, sodass der lange gestreifte Schal, an dem ich strickte, sich in der Mitte wölbte wie eine Python, die ein Kaninchen verspeist hat. Ich stellte mir gern vor, dass ein böswilliges Rumpelstilzchen nachts in mein Zimmer schlich und meine beste Arbeit wieder aufribbelte und somit das Gold meiner Anstrengungen in jämmerliches Stroh verwandelte, auf einem gemeinerweise rückwärts drehenden Spinnrad.
    Zwar hatte Mutter meine Fortschritte mit dem Strickschal mehr

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