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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Unternehmens meines Vaters sei der beste Ort, da es das wirtschaftliche Zentrum von Fentress sei, die anderen waren für das Postamt. Doch unser Bürgermeister, Mr. Axelrod, entschied, dass das Telefon zur Zeitung solle, dort sei schließlich das Herz unserer Gemeinde, was Neuigkeiten aller Art anging. Das Büro der Lokalzeitung befand sich gleich gegenüber der Cotton Gin, sodass der Apparat, wann immer nötig, genutzt werden konnte, um Aufträge entgegenzunehmen und um sich über den aktuellen Stand der Baumwollpreise zu informieren.
    Großpapa war ganz begeistert von der Aussicht auf das Telefon, und wenn wir hinauszogen, um nach Pflanzen oder Insekten zu schauen, lief er beschwingter als sonst.
    »Bei Gott«, sagte er einmal, »der Fortschritt ist schon etwas Wundervolles. Alex hat es doch tatsächlich geschafft.«
    »Alex?«, fragte ich nach. »Du meinst Mr. Alexander Bell?«
    »Genau den.«
    »Hm«, sagte ich, »kennst du ihn denn?«
    »Allerdings. Ein prima Bursche. Ich kenne ihn schon seit Jahren, über die National Geographic Society. Es wundert mich, dass ich dir nie von ihm erzählt habe. Als er anfing, an dieser Sache zu arbeiten, habe ich ihm ein Darlehen gegeben. Dafür habe ich Anteile an seiner Firma bekommen. Erinnere mich daran, nach den Aktienkursen zu sehen, wenn ich das nächste Mal in Austin bin. Diese Anteile könnten inzwischen einiges wert sein.« Dann fiel ihm etwas ein: »Wart mal – ich kann ja bei der Börse anrufen und mich nach den Kursen erkundigen. Dafür muss ich ja gar nicht nach Austin. Ha!«
    Eine Woche lang gab es in der Stadt kein anderes Gesprächsthema.
    Durch eine Stellenanzeige in der Zeitung suchte die Firma Bell eine Telefonistin. Gedacht war an eine zuverlässige, ernsthafte, fleißige junge Dame zwischen siebzehn und vierundzwanzig. Offensichtlich hatte die Firma reichlich schlechte Erfahrungen mit früheren Telefonisten gemacht, die man sämtlich aus den Reihen der – allesamt männlichen – Angestellten der Telegrafenämter rekrutiert hatte. Das waren grobe, oft betrunkene, unhöfliche Kerle, die ihre Kunden schon mal gern aus der Leitung warfen. Außerdem hieß es in der Anzeige, die junge Dame müsse hochgewachsen sein, damit wollten sie jeder Art von Spekulation, höflicher wie anderer, von vornherein entgegenwirken. Sie boten ein Zimmer mit Verpflegung sowie obendrein die fantastische Summe von zehn Dollar die Woche. Für ein Mädchen! Nicht für einen Kutscher, nicht für einen Schmied, sondern für ein Mädchen ! So etwas hatte man noch nie gehört. Das Geld, das Prestige, die Unabhängigkeit! Ich brannte darauf, diese Stelle zu bekommen.
    Ich fragte den erstbesten meiner Brüder, J. B. »Findest du, ich sehe wie siebzehn aus?« Er sah mich an und antwortete ziemlich schwerverständlich durch eine zähe Karamellmasse, an der er gerade kaute: »Du siehst richtig alt aus, Callie.« Das hörte ich natürlich gern, aber J. B. war erst fünf, sodass man sich auf diese Information nicht unbedingt verlassen konnte. Also suchte ich nach Harry und fand ihn im Stall, wo er gerade ein Pferdegeschirr flickte.
    »Harry«, fragte ich, »glaubst du, ich könnte als Siebzehnjährige durchgehen?«
    »Spinnst du?«, sagte er, ohne hochzublicken.
    »Nein. Guck doch mal, wie wäre es so?« Ich zwirbelte mir die Haare zu zwei, wie ich dachte, schicken Knoten über den Ohren zusammen. »Seh ich jetzt nicht wie siebzehn aus?«
    Er warf mir einen Blick zu. »Die Antwort lautet: Nein. Wie ein Spaniel siehst du aus.« Jetzt unterbrach er seine Arbeit und betrachtete mich mit zusammengekniffenen Augen. »Wieso fragst du? Was heckst du denn aus?«
    »Ach nichts.« Einen flüchtigen Moment lang hatte ich mich als die junge Telefonistin Miss Tate gesehen, in einem schicken Hemdblusenkleid auf einem Stuhl mit Rollen, während sie tüchtig und konzentriert alle Anrufe durchstellt und mit wohlmodulierter Stimme sagt: »Hallo, hier Zentrale, Ihre Nummer bitte …«
    Angesichts so großartiger Zukunftsaussichten war ich sogar bereit zu lügen, was mein Alter anging, und mir aus Mutters Ankleidezimmer ein Kleid und einen Hut zu »borgen«. Ich hatte alles bis ins kleinste Detail durchgeplant, als mir blitzartig ein Gedanke kam, der doch eigentlich so naheliegend war: Die halbe Stadt kannte mich dem Namen nach, die andere Hälfte kannte mein Gesicht. Wie konnte ich nur so blöd sein? Ich dankte dem Himmel, dass er mir rechtzeitig gezeigt hatte, wie dumm mein lächerliches und gefährliches

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