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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Houston versuchte, ein Bier zu ergattern, aber man ließ ihn gehörig abblitzen.
    Und dann, Punkt zwölf, war es so weit: Ein schriller, blecherner Ton erfüllte die Luft um die Menge, die atemlos vor Erwartung war. Überall rief man aaah und oooh. Am anderen Ende der Leitung befand sich der Senator des Staates Texas, der von Austin aus anrief, um unserer Stadt zu gratulieren, die sich im Eiltempo ins zwanzigste Jahrhundert aufmachte. Maggie Medlin stellte die Verbindung her, und unser Bürgermeister trat in die Telefonkabine und brüllte dem Senator etwas zu, der über fünfundvierzig Meilen zurückbrüllte, um ihm zu sagen, wie an diesem Morgen an der Börse in Austin der Baumwollpreis stand.
    Großpapa murmelte mir zu: »Ist dir bewusst, was das bedeutet, Calpurnia? Die Tage des Lebertrans und des Kohlenstaubs sind vorüber. Das alte Jahrhundert stirbt vor unseren Augen. Präge ihn dir gut ein, diesen Tag.«
    Mr. Hofacket, der Inhaber des Fotoateliers, war mit seiner großen Balgenkamera erschienen, um dieses denkwürdige Ereignis im Bild festzuhalten. Er wollte mit Großpapa über die Pflanze reden und war enttäuscht, dass wir immer noch keine Nachricht aus Washington hatten. Er hätte den ganzen Tag lang weiter darüber gequasselt, hätte der Bürgermeister ihn nicht an seine Pflichten als offizieller Fotograf erinnert. Alles versammelte sich um ihn herum, die hölzernen Planken vor den Gebäuden reichten nicht mehr aus, und so standen viele unten auf der Straße. Mr. Hofacket baute seine Kamera auf, und Großpapa nahm meine Hand fest in seine. Dann verschwand Mr. Hofacket unter dem schwarzen Tuch und hielt sein Blitzpulver aus Magnesium hoch.
    »Nicht bewegen!«, brüllte Mr. Hofacket. Alles erstarrte. Durch das Blitzpulver wurden wir alle in grelles Licht wie bei einem Blitz getaucht. Als wir später einen Abzug der Aufnahme sahen, waren die Gesichter der meisten Menschen feierlich und ernst. Ich selbst sah nachdenklich aus. Der Einzige, der lächelte, war Großpapa, er grinste übers ganze Gesicht wie die Grinsekatze bei Alice im Wunderland.

 
     
     
    Siebzehntes Kapitel
     
    HAUSWIRTSCHAFT
     
    Wenn daher mehr Individuen erzeugt werden, als möglicherweise fortbestehen können, so muss jedenfalls ein Kampf um das Dasein entstehen, entweder zwischen den Individuen einer Art oder zwischen denen verschiedener Arten, oder zwischen ihnen und den äußeren Lebensbedingungen.
     
     
    Ganz gegen meinen Willen hatte ich ein Alter erreicht, in dem ein junges Mädchen sich all die Kenntnisse aneignen muss, die es braucht, um eines Tages, nach einer Heirat, einen eigenen Haushalt zu führen. Natürlich wollten alle Mädchen, die ich kannte, heiraten. Das machte man so, es sei denn, man war so reich, dass man es nicht nötig hatte, oder so potthässlich, dass man keinen Mann fand. Einige wenige Mädchen wurden Lehrerinnen oder Krankenschwestern, und ich fand, dass sie Glück hatten. Und seit Neuestem hatten wir das Beispiel von Maggie Medlin, unserer Telefonistin, einer unabhängigen jungen Frau, die ihr eigenes Geld verdiente und keinem anderen Mann Rechenschaft schuldete als Mr. Bell. Da es bislang auch weiterhin nur dieses eine Telefon im Ort gab, hatte sie auch nicht viel zu tun. Sie saß vor dem Schaltbrett, den Hörer an der Schnur um den Hals gehängt, aß Äpfel und las die Zeitung, bis der Summton im Schaltbrett ertönte und sie einen Anruf durchstellen musste. Dafür stöpselte sie das Kabel ein und sagte mit der immergleichen munteren Stimme: »Hallo, Zentrale, welche Nummer bitte?« Das musste sie sagen, obwohl es doch nur eine einzige Nummer gab. Alle Mädchen in der Schule bewunderten sie. Mit einem Stück Pappkarton als Schaltbrett und einer Schnur spielten wir Telefonvermittlung. Mir schien das ein gutes Leben zu sein. Doch schon nach kurzer Zeit wurde das Telefon so beliebt, dass jede Familie eins haben wollte. Maggie durfte ihren Arbeitsplatz nicht mehr verlassen und war bald so etwas wie die Sklavin der Telefongesellschaft.
     
    Unsere Pflanze gedieh prächtig. Von Washington fehlte nach wie vor jede Nachricht. Großpapa arbeitete weiter im Laboratorium, und wann immer ich mich davonschleichen konnte, half ich ihm, so gut ich konnte.
    Eines Samstagvormittags sah Mutter von ihrer Näharbeit auf, als ich gerade zur Haustür hinauslaufen wollte, eins von Großpapas Schmetterlingsnetzen und seinen alten Fischkorb über der Schulter. »Einen Moment mal«, sagte sie, als ich gerade den Türknauf drehte.

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