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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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selbst aufgebaut und in einer verrückten, hektischen Zeit dreißig Jahre lang die Arbeiten geleitet, doch nun verspürte er weder das geringste Interesse noch irgendeine Verpflichtung. Er zog sich in sein Laboratorium zurück, oder er hängte sich seine Tasche über die Schulter und zog gleich morgens los in die Natur.
    Die Entkörnungsmaschinen liefen Tag und Nacht. Der Schmied und der Zimmermann schufteten rund um die Uhr, damit die Maschinen problemlos arbeiteten und es zu keiner Unterbrechung in der Behandlung der Baumwolle kam. Hoch beladene Wagen kamen herein, mächtige Ballen verließen die Anlage und wurden in die Lagerschuppen von Austin, Galveston oder New Orleans gebracht. Die Ballen waren so schwer und wurden so hoch aufgetürmt, dass sie tatsächlich eine Gefahr darstellten. Sie zu stapeln und auszubalancieren war eine Kunst, und jedes Jahr wurden überall im Süden Dutzende von Männern von wackligen Ladungen erschlagen. Das Brummen und rhythmische Schlagen der gewaltigen Lederriemen der Maschinen war noch in unserem Haus zu hören, obwohl die Anlage eine Viertelmeile entfernt stand. Nach den ersten Nächten hatte man sich wieder daran gewöhnt. Zwar war ich noch nie am Meer gewesen, doch wenn ich im Bett lag und in der Ferne die Maschinen hörte, stellte ich mir vor, das sei das Rauschen der Brandung. Doch was da rings um unser Haus herum wogte, war kein Wasser, sondern Baumwolle.
    Unsere Schule schloss für zehn Tage. Viele meiner Mitschüler kamen aus Familien, die es sich nicht leisten konnten, Arbeiter anzuheuern, und so mussten alle, auch die Kinder, pflücken bis zum Umfallen. Ich wurde dazu verdonnert, meiner Mutter in der Küche zu helfen. Einmal habe ich den kompletten Vormittag lang Mehl gesiebt, einen ganzen Sack, und am nächsten Tag waren meine Hände so wund, dass ich nicht einmal meinen Stift halten und etwas in mein Notizbuch schreiben konnte. Weil ich mich so bitterlich darüber beschwerte, wurde mir eine andere Aufgabe zugewiesen. Ich sollte auf gut zwei Dutzend kleine Kinder aufpassen, die im Hof zwischen dem Haus und der Außenküche spielten, während ihre Mütter auf den Feldern arbeiteten. Unter anderem musste ich dafür sorgen, dass die Hennen, die aufgeregt herumrannten, nicht nach diesen Eindringlingen in ihr angestammtes Terrain hackten. Doch auch mit dieser unbezahlten Arbeit war ich nicht glücklich, schon gar nicht, wenn ich Sam Houston und Lamar nachschaute, die zur Cotton Gin hüpften und mit Geld zurückkamen. Nachdem ich einen ganzen Tag lang die Kleinen gehütet und dabei missmutig an die Münzen in den Taschen meiner Brüder gedacht hatte, wagte ich einen neuen Vorstoß beim Abendessen.
    »Wieso muss ich auf die Kleinen aufpassen?«, fragte ich Vater.
    »Weil du das Mädchen bist«, sagte Lamar, als wäre das das Natürlichste von der Welt.
    Ich beachtete ihn nicht. »Wieso muss ausgerechnet ich auf die Kleinen aufpassen? Wieso darf ich keine Botendienste machen? Wieso verdiene ich kein Geld?«
    »Weil du ein Mädchen bist«, sagte Lamar, der jetzt Gefahr im Verzug witterte und alarmiert war.
    »Was soll das denn heißen?«
    »Mädchen werden nicht bezahlt«, höhnte Lamar. »Mädchen dürfen ja nicht mal wählen. Sie bleiben zu Hause, und sie kriegen kein Geld.«
    »Das erzähl mal den Leuten von der Normalschule in Fentress, wo die Lehrer ausgebildet werden«, sagte ich, stolz auf meine Schlagfertigkeit. »Miss Harbottle wird schließlich auch bezahlt, oder nicht?«
    »Das ist was anderes«, blaffte mich Lamar an.
    »Und inwiefern bitte schön?«
    »Ist einfach so.«
    »Wieso ist das so?« Ich ritt so laut und so lange darauf herum, dass mein erschöpfter Vater, in dem verzweifelten Wunsch nach Ruhe und Frieden, sagte: »Ist gut, Callie, du bekommst einen Nickel.«
    Ein Nickel, das waren immerhin fünf Cent. Ich schwieg triumphierend. Lamar sah erleichtert aus, dass er seinen Posten als Botenjunge behalten hatte. Als Nächstes fingen meine drei jüngeren Brüder an, sich lauthals zu beschweren, wie unfair es sei, dass sie kein Geld bekämen, und erst nach Mutters heftigem »Genug jetzt!« gaben sie Ruhe. Während des restlichen Essens schmollten alle drei, während ich freundlich plaudernd Konversation machte, wie es sich für eine Dame gehörte und wie man es mir beigebracht hatte. Ich plauderte übers Wetter und erkundigte mich, was die anderen den Tag über erlebt hatten. Großpapa schien amüsiert, während Mutter aussah, als hätte sie schreckliche

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