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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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lächelte mir vergnügt zu und wischte sich die Schweißperlen ab, die wie Sommersprossen auf ihrer Nase saßen, und dann rannten wir los, um das schlechtgelaunte Pony zu suchen. Beim Hufeisenstand sah ich Harry mit Fern Spitty reden, und irgendetwas an der aufmerksamen Art, wie er ihr zuhörte, ließ mich denken, dass uns wieder ein Paarungstanz bevorstand.
    Nachdem wir auf Sunshine geritten waren, spielten wir mit einigen anderen zwei Schlachten aus dem Bürgerkrieg nach, die von Fredericksburg und die von Chancellorsville. Wir feuerten aus Baumstämmen, die unsere Kanonen waren, und gingen mit Holzschwertern aufeinander los. Alle meine Brüder außer Sam Houston beklagten sich bitter, dass sie diese Zeit der großen Helden und der romantischen Ehre nicht selbst miterlebt hätten. (Sam Houston war der Einzige, der Mathew Bradys grausige Fotos in der Bibliothek gesehen hatte und darin wenig Ehrenvolles entdecken konnte.) Wir mussten einen strengen Plan aufstellen, in dem stand, wer wann Soldat der Unionstruppen zu sein hatte, denn niemand wollte freiwillig deren Rolle übernehmen. Ein paarmal versuchten wir, ohne die Truppen des Nordens zu spielen, aber das war so langweilig, dass wir lieber ganz aufhörten.
    Anschließend veranstalteten wir ein Wettspucken mit Wassermelonenkernen, und natürlich gewann Lamar, der sich auch sonst gern mal aufblies. Dann durften wir unsere Geschenke aufmachen. Von meinen drei jüngeren Brüdern, die dafür ihr Erspartes zusammengelegt hatten, bekam ich ein winziges braunes Tütchen mit Lakritz. Sam Houston schenkte mir einen Knopfhaken, und Lamar ein Nadelkissen in Form einer prallen roten Tomate. Harry schenkte mir einen Band Noten fürs Klavier: Fröhliche Lieder für die ganze Familie. Von meinen Eltern bekam ich ein neues Kleid aus feinstem Batist mit Spitzenbesatz und ein paar Winterhausschuhe aus Kaninchenfell – aus meinen alten war ich herausgewachsen. Meinen Brüdern schenkte ich Lesezeichen mit einer im Winde wehenden Fahne von Texas, die ich selbst mit Tusche gezeichnet und ausgemalt hatte.
    Als es endlich Zeit wurde für das Feuerwerk, kippten wir alle schon fast um vor Erschöpfung. Es wurde viel gelacht, aber es gab auch Tränen und Wutanfälle sowie diverse Kratzer und andere kleinere Verletzungen – eben alles, was zu einem gelungenen Fest so dazugehört. Dovie hatte ein blaues Auge, weil sie in die geballte Faust eines anderen Kindes hineingerannt war. (Es hätte leicht meine eigene sein können, aber so war es nicht, ich schwöre.) Da sie sonst den Ruf einer unerträglichen Zimperliese hatte, profitierte sie enorm von diesem Unfall, denn sie erregte allenthalben Aufsehen und Anteilnahme.
    Am Abend zog sich Mutter in Begleitung einer großen Flasche ihres Kräuterelixiers in ihr Zimmer zurück. Viola legte sich mit Kopfschmerzpulver und einem kalten Tuch auf der Stirn hin, und Mutter gab ihr zwei Tage zur Erholung frei, was noch nie vorgekommen war. SanJuanna und Alberto übernahmen die undankbare Aufgabe, hinter uns allen aufzuräumen. Alberto berichtete später, dass Sunshine so müde gewesen sei, als er sie am Ende des Tages zurück in den Stall führte, dass sie kein einziges Mal auch nur den Versuch machte, ihn zu beißen.
    Am Ende der folgenden Woche traf dann auch tatsächlich Großpapas Geschenk ein. Allerdings wünschten wir uns alle nur zu bald, es wäre nie gekommen. Es kam in einer großen Holzkiste mit Luftlöchern, was bei Geschenken immer ein gutes Zeichen ist. Wir versammelten uns auf der vorderen Veranda und sahen gespannt zu, während Harry die Kiste langsam aufbrach. Darin befand sich ein verschnörkelter Gitterkäfig, in dem ein prächtiger Papagei saß. Wie um alles in der Welt hatte Großpapa das wissen können?
    Und es handelte sich um keinen ganz gewöhnlichen Papagei. Es war ein ausgewachsener Amazonas-Papagei, drei Fuß (Verzeihung: einen Meter ) groß vom Kamm bis zu den Schwanzfedern, mit goldglänzender Brust, blauem Rücken und extrem auffälligen, purpurroten Schwingen. Ehrfürchtig starrten wir alle ihn an. Großpapa hatte in der Zeitung von Austin über den Vogel gelesen, der seinen Vorbesitzer überlebt hatte, und hatte ihn aus dem Nachlass erstanden. Der Papagei war das Schönste, was wir je gesehen hatten. Aber gleichzeitig sah er auch so aus, als könnte er einem ohne die geringste Anstrengung ein Auge aushacken.
    Während wir ihn noch mit offenem Mund anstarrten, schob er seinen großen gebogenen Schnabel zwischen den

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