Cambion Chronicles 1
tat sich niemand, der noch bei Trost war, diese Masse an Menschen an, jedenfalls nicht für den Mindestlohn. Man hatte im Europia-Park alle großen Länder Europas nachgebaut: Frankreich, England, Italien, Schottland, Deutschland, Irland, einfach alle. Bei den Touristen führte das unweigerlich zu der Frage: »Warum arbeiten hier so viele Mexikaner und Asiaten?«
Der Betreiberkonzern wollte Europa mit familienfreundlichen Klischees und allem Komfort vermarkten. Er hatte die Rechnung jedoch ohne die Verständigungsprobleme der importierten Angestellten gemacht. Jedem, der hier nach dem Weg fragte, war viel Glück zu wünschen. Wenn die Besucher den Lageplan nicht lesen konnten, hatten sie einfach Pech!
Es war also durchaus nachzuvollziehen, dass Caleb mich als Fremdenführerin mitnahm. Ich fand mich mit verbundenen Augen im Park zurecht. Egal, wie oft ich herkam, jedes Mal fand ich die Kulisse wieder atemberaubend.
Nachdem wir die zwanzigminütige Parkplatzsuche und eine waghalsige Fahrt im Touristenbus überlebt hatten, schlenderten Caleb und ich auf dem von Blumen gesäumten Weg durch den Eingang. Der erste Halt auf unserer Reise war das alte England. Obwohl er sagte, er hätte das Original schon mal gesehen, bestaunte Caleb das Modell des mittelalterlichen Big Ben mit offenem Mund.
Eine gewisse Paranoia war mir nicht fremd, ich kannte das unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden, aber in Calebs Gesellschaft vervielfachte es sich. Dutzende weiblicher Augenpaare folgten ihm durch den Park, während ich versuchte, überall hinzusehen, nur nicht in seine Richtung. Als das vierte Mädchen Caleb »versehentlich« anrempelte, wollte ich ihn schon stehen lassen, aber er erwischte mich, bevor ich entkommen konnte. Für einen Frauenschwarm gab er sich redlich Mühe, seinen Verehrerinnen aus dem Weg zu gehen und sich im Falle eines drohenden Tumults schützend vor mich zu stellen.
Wir durchwanderten Frankreich, wo Sänger in kurzen Jäckchen und Baskenmütze auf den Straßen auftraten. Calebs Nase führte ihn zur Eisdiele neben dem Stand eines Porträtmalers. Das war schon der zweite Halt innerhalb einer halben Stunde, und sein Appetit schien eher noch zuzunehmen.
Während ich auf Caleb wartete, lächelte ich über die Frau in dem offenherzigen Bäuerinnenkleid, die an einem als Taverne gestalteten Stand Limonade verkaufte. Ihre langen blonden Haare fielen ihr in zwei Zöpfen über die Schulter. Sie stützte sich mit dem Ellbogen auf dem Tresen ab, verschwitzt und extrem gelangweilt von ihrem Gespräch mit einem Kunden. Der Mann hatte in jeder Hand ein Getränk und wollte gerade noch eins bestellen, um ihr Interesse wach zu halten.
Als er der Verzögerungstaktik müde wurde, wagte er es: »Also, ich habe mich gefragt, was du nach … «
»Nein«, blaffte sie.
Er versuchte es noch mal. »Vielleicht können wir ja … «
»Nein.«
»Kann ich dann wenigstens deine … «
»Nein.«
»Alles klar!« Der Mann schlich mit gesenktem Kopf davon, seine Würde ein einziger Scherbenhaufen.
Lachend ging ich zum Stand hinüber. »Was geht, Polin?«
Nadines smaragdgrüne Augen leuchteten auf. Näher würde sie einem Lächeln niemals kommen. »Sam! Hallo! Was führt dich denn in den neunten Kreis der Hölle?«
Ich fasste meine Notlage in einem Wort zusammen. »Caleb.«
Nadine lehnte sich zurück. Diese Nachricht haute sie um. »Oh! Er benutzt also endlich die Freikarten, die ich ihm geschenkt habe?«
»Die sind langsam eingestaubt, während er darauf gewartet hat, dass du dir mal einen Tag freinimmst. Wie kann man nur so viel arbeiten? Ernsthaft, wann schläfst du?«, fragte ich.
»Ich kann schlafen, wenn ich tot bin. Im Moment sind Miete und Studiendarlehen an der Reihe. Ich bin noch jung und platze vor Energie.«
Auf Nadine war Verlass. Sie schaffte es, mich an meinem freien Tag wie einen Faulpelz aussehen zu lassen.
»Du bist also mit Caleb hier, hmm?« Sie sah mich unverwandt an und zwirbelte ihren Zopf. Keine gute Idee, denn allein diese Handbewegung lockte wieder drei alte Typen an ihren Stand. Bevor sie etwas sagen konnten, brüllte sie: »Wenn ihr nichts kaufen wollt, verpisst euch!«, was die Männer erfolgreich verscheuchte. Sie lehnte sich über den Tresen zu mir herüber. »Und, ist das ein Date?«
»Nein.«
Ihre Augen wurden schmal. »Du bist aber schnell mit der Antwort.«
»Es war ja auch eine schnelle Frage. Ich will nichts von Caleb. Ich will nur wissen, was mit ihm los ist. Du weißt doch, er ist
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