Cambion Chronicles 1
Mensch beging viel schlimmere Taten, als irgendein Dämon sie ersinnen könnte. Aber was ich gesehen hatte, ließ keinen Zweifel daran, dass das, was mir gegenüber saß und an seinem flüssigen Zucker nippte, nichts Normales war.
Als er halb ausgetrunken hatte, hielt er inne und sagte: »Ich will dir keine Angst einjagen. Ich erzähle dir nur, woher mein Geist ursprünglich stammt und was er früher war. Also, alles Lebendige besteht aus drei Teilen: einem Körper, einem Geist und Lebensenergie. Bäume, Vögel, Menschen, sogar Dämonen – ob du es glaubst oder nicht – besitzen diese drei Dinge in irgendeiner Form. Was in mir ist, hat keine eigene Lebensenergie und keinen Körper, nur einen Geist. Um das auszugleichen, benutzt es mich als Gefäß und ernährt sich von der Energie, die ich ihm liefere. Man kann sich das vorstellen wie Elektroden. Kleine Funken und Neuronen und Wellen, eine ganze Schaltzentrale des Lebens überall im Körper. Das hast du aus Garretts Mund kommen sehen.«
»Du hast sein Leben aufgesaugt?« Als er nickte, fragte ich: »Wie?«
»Es strömte aus seinem Mund. Die Atemspende … wurde zum Todeskuss«, schwadronierte er.
»Wie bei einem Dementor.«
Er sah verwirrt aus. »Einem was?«
»Mann, du arbeitest seit zwei Jahren in einem Buchladen und hast Harry Potter nicht gelesen?«
»Nein«, gab er zurück, und sein Gesichtsausdruck schien zu brüllen: Warum sollte ich auch ?
Ich seufzte. »Ich leihe dir die Bücher. Aber warum lockt dein Dämon nur Frauen an?«
»Weil er männlich ist. Das ist seine Waffe. Der Geist sendet ein Signal, das Frauen anlockt, so was wie Pheromone. Es übt eine solche Anziehungskraft auf sie aus, dass sie völlig die Kontrolle verlieren. Wenn sie mich küssen, zapft der Geist ihnen Energie ab. Die Anziehungskraft funktioniert am besten bei verletzlichen Frauen. Wenn sie unglücklich sind oder Liebeskummer haben, fühlen sie sich besonders zu mir hingezogen. Je verzweifelter sie nach Liebe suchen, desto stärker die Anziehung.«
»Und meine Mom?«
»Wenn du nicht hier wärst, wäre sie wahrscheinlich schon über mich hergefallen.«
»Uäh. Ich glaube, mir wird schlecht«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu meinem seltsamen Gast. Der Gedanke daran, wie Mom sich auf Caleb stürzte, hinterließ einen üblen Geschmack in meinem Mund. »Und was bedeutet das nun? Was machst du dagegen?«
»Ich versuche, die meisten zu ignorieren. Aber manchmal passiert eben was, das habe ich dir ja schon gesagt. Wie bei dem Mädchen auf dem Parkplatz. Sie sprang mir an den Hals und … «
»Und für deinen kleinen Mitbewohner läutete es zum Essen«, unterbrach ich.
»Ja.«
»Ist das schon mal passiert? Kannst du dich dagegen wehren?«
»Ja und nein. Es ist, als hätte man einen zahmen Tiger. Er ist wild und begierig, aber er handelt nicht blindlings. Nach einer Weile erkennt er Menschen wieder. Ich habe Schwestern und Cousinen, und der Geist ist nie auf sie angesprungen. Er trinkt nie von jemandem, den er kennt.«
»Na ja, aber du weißt ja, was mit Siegfried und Roy passiert ist.«
Mit gelangweiltem Gesichtsausdruck richtete Caleb seinen Finger auf mich. »Hör zu, dieser Tiger hat seinen Besitzer nicht angegriffen. Ein übereifriger Fan ist zu nahe an die Bühne gekommen und hat ihn verängstigt. Das Tier wollte Roy verteidigen und zog ihn weg von der potenziellen Gefahr. Dabei hat er seine eigene Stärke vergessen. So ziemlich dasselbe ist mit den Frauen im Buncha Books und im Europia-Park passiert … «
»Du warst das also! Deinetwegen hatten sie einen Herzinfarkt«, rief ich anklagend.
Wenigstens war er anständig genug, um beschämt auszusehen. »Der Geist greift nur an, wenn er in die Ecke gedrängt wird. Diese Frauen sind über mich hergefallen, und er hat darauf reagiert. Er hat einfach kein Gewissen, wenn es um Unbekannte geht. Er weiß nur, was ihn am Leben hält. Wenn er nicht von anderen trinken kann, dann eben von seinem Wirt.«
Das ließ mich aufhorchen. »Was?«
»Im Laufe der Jahre habe ich entdeckt, dass sich der Geist mit großen Mengen von Endorphinen ruhigstellen lässt, wie man sie ausschüttet, wenn man was Aufregendes erlebt oder Süßes isst. Das ist ein ganz passabler Ersatz, wenn es gerade keine fremde Lebensenergie gibt, aber die Reserven müssen dauernd nachgefüllt werden.«
Mit dieser Erklärung bekam sein seltsamer Backwaren-Wahn eine Art Logik.
Nein, Moment, doch nicht. »Er ernährt sich also von Euphorie?«, fragte
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