Cambion Chronicles 1
immer betrunken war und so, aber ich hab nie gesehen, dass er Drogen nahm, aber das würde erklären, warum er immer so jähzornig war.‹ Ich sag so: ›Warte mal, er war jähzornig?‹, und sie wurde ganz still und meinte so: ›Ich will nicht drüber reden‹, und ich dachte so: Moment mal, da ist was faul, denn wenn sie wussten, dass Garrett drogenabhängig war, warum haben sie dann nichts gesagt, verstehst du? Ich meine, das ist doch irgendwie voll falsch, verstehst du?«
Mary-Beth Hessling legte eine Pause ein, um an ihrem Frappuccino zu nippen.
Ich stand wie benebelt hinter dem Tresen. Mein linkes Auge zuckte. Mary-Beth war Garretts Cousine und ein echtes Plappermaul. Die konnte reden wie ein Auktionator. Gäbe es ein Trinkspiel mit ihrem Lieblingswort, wären alle Mitspieler innerhalb von neunzig Sekunden bewusstlos.
Ich hob kapitulierend die Hände. »Ich weiß nicht, Mary. Es gibt eben solche und solche.«
»Na ja, mein Dad wird sich drum kümmern. Ich halte dich auf dem Laufenden. Bis dann.« Sie winkte mir zu und flitzte zu meiner großen Erleichterung davon.
»Ist die Luft rein?«, rief Nadine aus der Küche.
»Ja. Du kannst jetzt rauskommen.«
Sie spähte prüfend in alle Richtungen und kam dann mit einem Notizblock in der Hand herausgeschlichen. »Gott, diese Mädchen machen mir Angst. Die sind so hektisch.«
»Das macht das Koffein.« Ich deutete mit dem Kopf auf ihren Notizblock. »Was hast du da?«
»Das ist ein Gedicht für heute Abend, an dem ich arbeite. Ich will es bei der Lesung im Commons ausprobieren.«
Ich versuchte, nicht zu lachen, scheiterte aber kläglich. »Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du Gedichte schreibst. Worüber? Über die hungernden Kinder in Kuwait oder die Ausbeuterbetriebe in Taiwan?«
»Nein, das nicht. In dem hier geht’s um andere Sorgen.«
Ich lehnte mich gegen der Tresen. »Na komm, schieß mal los.«
»Du hörst es heute Abend auf der Lesung. Ich will dich dabeihaben, als moralische Unterstützung.«
»Echt jetzt? Ist das dein Ernst?«
»Ja, warum nicht?« Als ich wegsah, warf sie ein: »Du kannst Caleb mitbringen, wenn du willst.«
Ich drehte ruckartig den Kopf zu ihr. »Was hat der damit zu tun?«
»Du stehst auf ihn, ich sehe das. Du warst noch nie so abgelenkt wegen einem Jungen.«
»Ich bin nicht abgelenkt.«
Ihr Blick wanderte zum Becher in meiner Hand. »Und warum schüttest du dann Espresso in deine Limo?«
Ich folgte ihrem Blick und fuhr zusammen. »Oh, verdammt!«
Während ich die Schweinerei beseitigte, kommentierte sie: »Gib’s doch zu, du bist verknallt.«
Ich warf einen Lappen nach ihr. »Hüte deine boshafte Zunge, Weibsstück!«
»Warum redest du eigentlich immer wie eine Hofdame, wenn du sauer bist?«, hörte ich eine schmerzhaft vertraute Stimme sagen.
Da stand Caleb mit den Händen in den Taschen und Belustigung im Blick.
Mein Magen machte einen Purzelbaum. »Ich … ich weiß nicht.«
Sein süßes, jungenhaftes Lächeln wurde breiter. »Finde ich niedlich, wenn auch ein bisschen schizo.«
Und damit war der ganze Zauber futsch. Mit schmalen Lippen und geballten Fäusten starrte ich ihn an. »Was willst du?«
»Was machst du nach der Arbeit?«, fragte er.
Nadine mischte sich ein. »Sam geht zu meiner Lesung heute Abend.«
Er verzog verwirrt das Gesicht. »Echt? Ich wusste gar nicht, dass du auf Gedichte stehst.«
»Tu ich auch nicht«, erklärte ich hastig.
»Du kannst auch mitkommen, Caleb. Es ist im Commons-Theater. Um acht geht’s los. Das Thema heute Abend ist Bohème und Jazz. Zieht euch was Passendes an.« Nadine warf ihre Schürze auf die Theke und ging durch die Schwingtür. »Ich mach Pause. Amüsiert euch.«
Als Nadine außer Hörweite war, sagte Caleb: »Gedichte, wie? Das dürfte interessant werden. Sie ist ein bisschen … «
»Griesgrämig«, beendete ich den Satz.
»Ja. Soll ich dich abholen?«
Die Frage verblüffte mich. »Äh, nein, ich nehme mein Auto. Willst du da wirklich hingehen?«
Er stützte die Ellbogen auf den Tresen und sah mir tief in die Augen. »Ich will da sein, wo du bist. Und jetzt gib mir einen Keks, Weib.«
Der Gedichteabend fand in einem verrauchten Zuschauerraum statt, in dem sich alle Künstlerklischees zusammenfanden, die es jemals gegeben hatte: die Afrozentristen mit ihrer politischen Agenda und den Kopftüchern, die weißen Rastafaris mit ihren Dreadlocks und den »Friedenspfeifen«, eine Million Emo-Vampire und die Feministinnen, die nicht an BH s oder
Weitere Kostenlose Bücher