Cambion Chronicles 1
wundersame Weise eine Lösung hervorbringen. Schatten tanzten über das Sammelsurium aus Sportklamotten und stockfleckigen Theaterkostümen. An so einem Ort lief die Fantasie schnell Amok. An so einem Ort sollte niemand sterben. Das war das zweite Mal in einer Woche, dass jemand vor meinen Augen ein vorzeitiges Ende fand. All die Furcht und die weit reichenden Verflechtungen des Lebens liefen plötzlich in einem Körper zusammen, und der lag reglos in meinen Armen.
»Sam?« Die Stimme kam von der Tür.
Diesmal schrie ich wirklich.
Caleb stand mit verwirrtem Gesichtsausdruck im Türrahmen. Als er die Frau auf dem Boden sah, ließ ihn der Ernst der Lage in sich zusammensacken. Er betrat den Raum, und seine Augen leuchteten im Neonlicht. Erst jetzt wurde mir klar, was die Frau gesagt hatte: »violette Augen«.
Furcht und Wut schossen mit Wucht durch meinen Körper. »Warst du das?«
Er erstarrte mitten im Schritt. »Was?«
»Hast du von ihr getrunken?«, fragte ich.
»Nein, ich … «
»Sie hat deine Augen gesehen, Caleb.« Ich legte den Kopf der Frau vorsichtig auf dem Boden ab.
»Wovon redest du?« Er machte noch einen Schritt nach vorn.
»Bleib da! Bleib weg von mir!« Ich krabbelte hastig zum Kartonstapel an der Wand. Während ich den Augenkontakt hielt, tasteten meine Finger nach einer passenden Waffe, aber nur meine schwere Tasche hatte ein gewisses Potenzial. Panik, ein Gefühl des Verrats und der Empörung mischten sich in mir zu einem gefährlichen Cocktail. Vor allem fühlte ich mich dumm. Obwohl ich genau um sein Talent für doppelte Spielchen wusste, hatte ich es nicht kommen sehen, oder vielmehr, ich hatte es nicht sehen wollen.
Als ich gerade mein Heil in der Flucht suchen wollte, stieß Nadine zu unserem tödlichen Stelldichein. Sie spitzte die Lippen zu einem kreisrunden »Oh!«, und ihr Blick schoss zwischen uns beiden hin und her.
»Wie ist das passiert?« Sie trat ein und schloss die Tür hinter sich.
»Ich habe sie gerade eben hier auf dem Boden gefunden, sie hatte eine Art Anfall. Sie hielt sich die Brust. Und dann ist sie gestorben«, erklärte ich und durchbohrte Caleb mit meinen Blicken.
Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, kniete sich Nadine hin und nahm den Kopf der Frau in die Hände. Liebevoll strich sie ihr die losen Strähnen aus dem Gesicht. »Caleb, wie konntest du das zulassen?« Nadines Stimme versagte vor Wut.
Er wich langsam zurück wie ein in die Ecke getriebenes Tier. »Das war ich nicht. Ich kam gerade aus der Toilette und hörte jemanden um Hilfe schreien. Und dann habe ich Sam hier drin gefunden.«
Nadine blickte Caleb unverwandt an, als wollte sie ein Geständnis aus ihm herausstarren. Nach einem tiefen Atemzug erklärte sie: »Wir müssen die Polizei rufen. Caleb, bring Sam nach Hause. Ich bleibe hier.«
»Ich gehe nicht in seine Nähe!«, fauchte ich und kam endlich auf die Beine.
Caleb erstarrte. »Nein, ich kann dich doch nicht … «
Im nächsten Augenblick stand Nadine direkt vor Caleb und drängte ihn einen Schritt zurück. Ihre geballte Faust wartete nur auf den Befehl »Ziel neutralisieren«. »Du darfst nicht hier sein. Das ist das dritte Mal, dass in deiner Nähe jemand plötzlich einen Herzinfarkt bekommt. Die Polizei wird misstrauisch werden, und ich kann es mir nicht leisten, dass sie dich schnappen. Jetzt geh!«
Die Aufforderung, auch wenn sie nicht an mich gerichtet war, traf mich wie ein Peitschenhieb. Auf dem Weg nach draußen stolperte ich fast über meine eigenen Füße. Ich rannte den Gang entlang, ohne einen Blick über die Schulter oder einen weiteren Gedanken. Der Flur zur Eingangshalle war leer, und dem Rhythmus der Trommeln und Bongos nach zu urteilen war die Dichterlesung noch in vollem Gange. Für mein Empfinden rannten meine Füße nicht schnell genug, aber ich würde nicht anhalten, bis ich die mordfreie Schutzzone meines Hauses erreicht hatte.
Ein paar Nachzügler waren auf dem Parkplatz. Sie lachten und verhielten sich ganz normal, weil sie zu ihrem Glück nichts vom Chaos drinnen wussten. Trotzdem konnte ich das unheimliche Gefühl nicht abschütteln, dass ich beobachtet wurde, und zwar ganz genau beobachtet. Alle meine Antennen waren auf das leiseste Anzeichen von Gefahr ausgerichtet.
Mit jedem Schritt kam es von allen Seiten immer näher. Mein Herz pochte gegen meine Rippen, und meine Lunge rang nach Luft, während meine Füße die Strecke bis zu meinem Auto zurücklegten.
Keine drei Meter vor dem sicheren Hafen
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