Cambion Chronicles 1
ich schließlich.
»Nein, schon gut. Mach dir keinen Kopf deswegen«, erwiderte sie, obwohl ihre Körperhaltung etwas ganz anderes sagte.
»Ich weiß, dass dir das wichtig war, und ich wollte dir nicht den Abend versauen. Nebenbei bemerkt, ich fand es echt mutig von dir, dich vor all den Leuten da hinzustellen.«
Sie drehte sich zu mir um. »Wirklich? Du bist doch gar nicht schüchtern.«
Ich lächelte. »Meine Tarnung funktioniert also. Seit Jahren bin ich unsicher. Ich fand immer, dass ich nirgendwo dazugehöre.«
»Warum?«
»Sieh mich doch an, Nadine. Ich bin eine Promenadenmischung. Jeden Tag guckt mich irgendwer komisch an. Und dann diese herablassende Frage: ›Was bist du?‹, als wäre ich eine neue Spezies oder so was. Dass ich auf Formularen bei der ethnischen Herkunft ›Sonstiges‹ ankreuzen muss, macht es auch nicht besser. Schwarze Mädchen lästern über mich, weil ich mich ›weiß benehme‹, und die Weißen behandeln mich wie ein Maskottchen, als wäre positive Diskriminierung auch bei Pool-Partys Pflicht. Und wenn es das nicht ist, dann will irgendwer mein Haar mal anfassen.«
»Ich fasse dein Haar auch manchmal an«, schmollte Nadine.
»Ich weiß, Schnucki, aber dich kenne ich ja auch«, konterte ich. »Dann sind da noch die Leute, die meine Mom ansehen, als sei sie der letzte Dreck. Und meistens kommen solche Blicke von Familienmitgliedern. Mein Opa redet nicht mehr mit meiner Mom, und mich sieht er nicht mal an. Also, ja, ich bin unsicher, und ich wollte noch nie mehr auffallen, als ich es ohnehin tue. Aber glücklicherweise habe ich einen kleinen Kreis von Leuten gefunden, die mich so akzeptieren, wie ich bin. Und ich kann voller Stolz behaupten, dass du dazugehörst.«
»Du bist zwischen zwei Welten gefangen. Du bist nicht das eine oder das andere, sondern beides.« Nadine kam zu mir herüber und dachte mit gerunzelter Stirn darüber nach. »Tut mir leid, Sam. Das wusste ich nicht.«
»Na ja, du kommst ja auch aus Polen. Du kannst nichts dafür.«
»Klappe!« Nadine knuffte mich in den Arm. »Aber wie du bist, finde ich ja gerade anziehend. Du benimmst dich nicht wie alle anderen. Du bist eine seltene, einzigartige Schneeflocke.«
»Ja, ja.« Ich gluckste.
»Ich meine es ernst. Darum mag Caleb dich. Du hast was an dir, wovon er immer noch mehr haben muss. Vielleicht steht er auf Beschimpfungen.«
Ich ging zur Tür und spähte hinein. »Apropos, wo bleibt er?«
Nadine zuckte mit den Achseln. »Vielleicht ist er reingefallen.«
Da ich diese Möglichkeit bei Caleb nicht ganz ausschließen konnte, öffnete ich die Tür. »Ich gehe ihn suchen.«
Ich ging vor den Klos auf und ab, konnte aber keine Spur von ihm entdecken. Nachdem ich den dritten Mann gefragt hatte, ob er Caleb gesehen hätte, begann ich, mir Sorgen zu machen. Gerade, als ich Nadine holen wollte, ließ mich ein leises Grunzen aus einem leeren Korridor innehalten. Ich hörte ein Gurgeln und Weinen und bewegte mich darauf zu. Ich öffnete die Tür zu einem Lagerraum, schaltete das Licht ein und hätte fast geschrien.
Eine untersetzte Frau lag halb bekleidet mitten auf dem Boden und hatte eine Art Anfall. Es gelang mir, sie an den Schultern zu packen, dann umfasste ich vorsichtig ihren Kopf mit den Händen. In ihrem vergeblichen, mühevollen Kampf krallte sie sich mit einer Hand an meinem Shirt fest. Ihre umfangreiche Brust hob und senkte sich unter heiserem Keuchen, als hätte sie ihren Inhalator vergessen.
Tränen sammelten sich in ihren hellblauen Augen, Becken und Rumpf bäumten sich im Affekt auf.
Ich erkannte den nervösen Tick, diesen letzten Versuch zu überleben, der das endgültige Abschalten des Körpers verzögerte. Dasselbe war mit Garrett passiert, als er …
»Können Sie mich hören? Was ist passiert?«, fragte ich und wiegte sie hin und her.
Sie starrte mit leerem Blick an die gegenüberliegende Wand. Eine einsame Träne rollte über ihre Schläfe und verschwand unter der braunen Lockenpracht. »Violette … Augen«, brachte sie keuchend über die gesprungenen Lippen. Ohne ein weiteres Wort schloss sie die Augen und erschlaffte in meinen Armen.
»Nein, nein, bitte nicht! Bitte tun Sie das nicht. Wachen Sie auf!«, schrie ich und schlug sie auf die fahle Wange.
Ich suchte nach ihrem Puls und fand nichts. Nur ein schwaches Echo antwortete auf meine Hilfeschreie, und selbst das ließ mich schließlich im Stich.
Eine düstere Taubheit umgab mich. Ich suchte den Raum ab, als würde das auf
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