Cambion Chronicles - Golden wie das Morgenlicht (German Edition)
nicht so begeistert von der ganzen Sache, also blieb ich während unseres Besuchs überwiegend still und sprach nur, wenn ich gefragt wurde.
Anschließend fuhren wir wieder nach Hause und öffneten die Geschenke mit Dads Familie, dem Watkins-Klan. Mit allen vierzig. Das Haus war brechend voll, es gab mehr Essen, als ich in meinem ganzen Leben hätte verdrücken können, und ich amüsierte mich prächtig. Mom war die geborene Gastgeberin und fotografierte alles .
Dad tauchte mit seiner Frau und meinen beiden Halbgeschwistern wie immer erst spät auf. 364 Tage im Jahr war er ein echter Griesgram, aber an Weihnachten wurde er zu einem großen Jungen, der aufgeregt herumhüpfte und darauf wartete, dass wir endlich unsere Geschenke auspackten. Nachdem das Vorgeplänkel vorüber war, stürzten sich die Zwillinge auf den Geschenkehaufen und rissen die Pakete mit den Zähnen auf. Kyle und Kenya waren echt fiese Gören, aber Dad übersah wundersamerweise jedes Chaos, das sie anrichteten, und verwöhnte sie nach Strich und Faden. Nicht, dass ich neidisch gewesen wäre oder so, natürlich nicht.
Meine Stiefmutter Rhonda versuchte es neuerdings mit einem knielangen Kleid und einer hellbraunen Strickjacke im Michelle-Obama-Look, womit sie auch sicher überzeugt hätte, wenn sie nicht so taktlos gewesen wäre. Das Wort »Anstand« kam in ihrem Wortschatz offenbar gar nicht vor. Sie kam in der Küche auf mich zu und gab mir einen Umschlag. »Dein Vater und ich haben es satt, deine Maße der Woche zu erraten, also dachten wir, Gutscheine wären wohl besser als Klamotten. Viel Spaß damit.«
»Danke«, stieß ich durch zusammengebissene Zähne hervor und nahm den Gutschein. Sie schlenderte davon und ließ mich stehen. Ich taumelte noch unter ihrer Verbalattacke.
»Ich kann diese eingebildete Kuh nicht ausstehen. Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum mein Junge sie geheiratet hat. Soll ich dir mein Springmesser leihen, Süße?«, flüsterte mir Nana ins Ohr.
Ich lächelte auf die stämmige, kleine Frau hinunter, die nun in ihrem gewaltigen BH nach einer versteckten Waffe wühlte. Ich schwöre, sie hatte alles da drin: Geld, Autoschlüssel, Süßigkeiten, Starthilfekabel, einfach alles.
»Nein, danke, Nana.« Ich umarmte sie für ihr Angebot.
Ich hatte nie an Seelenverwandtschaft geglaubt, selbst jetzt nicht mit meinem siamesischen Zwilling Caleb, aber Nana und ich waren definitiv seelenverwandt. Wir hatten sogar dieselbe weiße Strähne im Haar. Die Weisheitssträhne, wie sie zu sagen pflegte, aber ich überdeckte die Weisheit lieber mit roter Tönung.
Halluzinationen und Nervenzusammenbrüche kamen auf einem Familienfest nicht so gut, deshalb war das Wohnzimmer für mich tabu. Ich sah den Feierlichkeiten vom sicheren Esszimmer aus zu und hatte auf Liliths Bitte hin meine Schwester auf dem Schoß.
Lilith hatte eine kleine Schwäche für Kinder, und besonders an Kenya hatte sie einen Narren gefressen. Plötzlich machte es mir überhaupt nichts mehr aus, mit Puppen zu spielen und Zöpfe zu flechten. Zweifellos hatte das mit Liliths tickender biologischer Uhr zu tun. Ich spürte ein tiefes Brummen im Rücken, wie von einer zufrieden schnurrenden Katze. Ich erkannte das brennende Verlangen in ihr, ein anderes Wesen zu umsorgen. Es verging normalerweise kein Tag, an dem meine Mitbewohnerin mich nicht entweder faszinierte oder wütend machte, jetzt aber schienen wir gerade einen vorübergehenden Waffenstillstand geschlossen zu haben.
Getreu meinem neuen Vorsatz, das Jahr ohne Stress zu beginnen, hatte ich gründlich über Dads Vorschlag nachgedacht, eine Therapie zu machen. Ich zog ihn beiseite, damit seine lästige Frau uns nicht hören konnte, und sagte: »Vor einer Weile hast du doch mal einen Arzt erwähnt, der sich mit Trauerarbeit und Traumata beschäftigt.«
»Ja«, sagte er hoffnungsvoll, als hätte er den ganzen Tag auf dieses Gespräch gewartet.
Ich brachte die Worte kaum heraus. Sie laut auszusprechen, war eine Niederlage, es bedeutete, dass ich wirklich ein Problem hatte, das ich nicht selbst lösen konnte. Ich fühlte mich nicht gern schwach und krank, aber um Lilith unter Kontrolle zu halten, musste ich in meinem Kopf wieder alles auf die Reihe bringen. Meine eigenen Methoden funktionierten nicht, und ohnehin sollte man so was wohl lieber einem Profi überlassen, bevor man was kaputt machte. »Ich weiß nicht, was das nützen soll, aber ich höre mir mal an, was er zu sagen hat. Ich verspreche allerdings
Weitere Kostenlose Bücher