Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
er zum ersten Mal ins Haus kam.« Ich musste das kleine Fläschchen sogar noch irgendwo in meiner Tasche haben, zwischen dem ganzen anderen Zeug, das ich schon vor Monaten hätte wegschmeißen sollen. Ich konnte mich nur schwer von meinem Kram trennen und schleppte immer viel zu viel mit mir herum.
»Ich weiß nicht, ob ich überhaupt wissen will, warum du das Öl bei ihm benutzt hast«, sagte Mom leicht verstört.
»Aus demselben Grund, aus dem du mitten in der Nacht Legenden recherchierst. Du hast Angst vor dem Unbekannten.«
Mom hob den Blick vom Bildschirm. »Ich habe keine Angst vor dir. Du bist meine Tochter. Ich versuche nur, den Überblick zu behalten. Evangeline hat versucht, einige meiner Fragen zu beantworten, aber mir fallen immer wieder neue ein.«
Ich lächelte, als sie Nadines Mutter erwähnte, und nahm mir vor, sie morgen anzurufen. Evangeline Petrovsky, oder einfach nur Angie, war wie eine Naturgewalt. Da Lilith aus ihrem Stammbaum kam, hatte Angie mich mehr oder weniger adoptiert und mir beigebracht, was es heißt, ein Cambion zu sein. Egal, wo sie gerade auf Reisen war, ich konnte sie jederzeit anrufen.
»Oh, sieh dir das mal an!« Mom winkte mich zu sich. »Legenden zufolge war der Zauberer Merlin ein Cambion. Deswegen hatte er magische Kräfte.«
Ich schaute ihr über die Schulter. »Der aus der Sage von König Artus?«
Sie nickte. »Außerdem steht da, dass ein echter Inkubus die Gestalt dessen anzunehmen vermag, was eine Frau am meisten begehrt, um sie im Schlaf heimzusuchen und zu verführen.«
Diese Vorstellung wirbelte mir einen Augenblick lang im Kopf herum. »Dann würde sich also ein Inkubus in mein Zimmer schleichen, der aussieht wie Usher?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Es geht darum, was dein Herz begehrt, also sieht er vielleicht eher aus wie Caleb.« Sie blickte langsam auf, bis ich ihr direkt in die hellblauen Augen schaute.
Plötzlich war es still, und die gute Laune hatte sich verflüchtigt. Meine Gedanken wanderten zu der Nacht, in der Calebs Vater genau diesen Trick zu seinem Vorteil genutzt hatte. Diese Täuschung hatte mich fast das Leben gekostet. Es war ein sehr mächtiger, verwirrender Trick, den die Allerwenigsten überlebten.
Mom fuhr fort: »In jeder Kultur erzählt man sich die Legende etwas anders. Manchmal sind es koboldartige Wesen, die sich auf die Brust eines Menschen hocken, um ihm Energie abzuzapfen, wie in diesem Aberglauben über Katzen, die einem im Schlaf den Atem stehlen. Daran sieht man, dass diese Dämonen vom Wesen her teilweise wie Tiere sind. Insgesamt sind Inkuben jedenfalls ein ganz schön lüsterner Haufen. Erst machen sie die Frauen willenlos, dann schwängern sie sie.«
»Stimmt nicht.«
Ihr Kopf fuhr hoch. »Was?«
»Stimmt nicht«, wiederholte ich. »Ein Inkubus ergreift erst von einem Mann Besitz und benutzt den, um eine Frau zu schwängern. Ein Teil seiner Seele geht bei der Empfängnis dann auf die Frau über.«
Mom starrte mich mit offenem Mund an. Sie blinzelte ein paarmal und griff dann zur Maus, um im Internet nach einer Bestätigung für diese Information zu suchen.
Ich legte meine Hand auf ihre und hielt sie fest. »Das findest du da nicht. Frag Angie.«
»Ich gehe nicht ans Telefon, wenn sie anruft. Sie sagt dauernd, dass ich erschöpft sei und ein Wellness-Wochenende einlegen soll. Hast du gesehen, was ich ihretwegen mit meinen Haaren gemacht habe?« Mom tätschelte nervös ihre neuen Strähnchen.
Ich strich ihr über den Kopf. »Ich hab dir doch schon gesagt, dass das gut aussieht. Sie will nur, dass du dir nicht dauernd so einen Kopf um alles machst.«
»Ich weiß nicht, wie sie es schafft, mich zu all diesen Sachen zu überreden. Ich kann einfach nicht Nein sagen. Es ist seltsam, Angie und ich, das ist wie …«
»… Liebe auf den ersten Blick«, brachte ich den Satz zu Ende.
»Ja, aber ganz und gar platonisch«, beeilte sie sich zu ergänzen. »Woher weißt du das?«
»Mit Nadine und mir war das auch so. Bis Mia und ich so weit waren, hat es Jahre gedauert, aber zu Nadine hatte ich sofort eine Verbindung. Wahrscheinlich fühlen sich Cambions einfach von misstrauischen Frauen angezogen.« Ohne dass ich es verhindern konnte, fing meine Unterlippe an zu zittern, und Tränen brannten hinter meinen Augen. Lilith fuhr meine Wirbelsäule hoch und ließ mich auf diese Weise wissen, dass sie ebenfalls trauerte.
Mom nahm die Brille ab und sah mich unverwandt an. Sie beobachtete jede meiner Bewegungen ganz genau.
Weitere Kostenlose Bücher