Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
gesagt: »Was man einmal gesehen hat, lässt sich nicht mehr aus dem Gedächtnis löschen«, und das war nur allzu wahr. Ich sah alles wieder vor mir. Mein Rücken wurde steif, und die Muskeln verkrampften sich so schmerzhaft, dass es in meinem Magen zu rumoren begann. Meine Kehle verengte sich, als ich krampfhaft versuchte, das Abendessen bei mir zu behalten.
Der schleimige Brei, der nach außen drängte, trieb mich blitzschnell in die obere Etage, den Flur entlang und in das einladende Badezimmer. Zwischen den Brechkrämpfen war mir der kühle Fliesenboden ein guter Freund und Beichtstuhl. Ich wünschte, ich hätte es auf das Essen oder irgendeine körperliche Erkrankung schieben können, aber es musste wohl psychisch sein. Mom war nicht die Einzige, die Probleme hatte – ich konnte sie nur besser verstecken.
Ich umklammerte den Rand des Waschbeckens, zog mich hoch und starrte die Fremde im Spiegel durchdringend an – eine nahe Verwandte vielleicht oder eine verloren geglaubte Zwillingsschwester. Die Gesichtszüge schienen vertraut, dieselben runden Wangen, dasselbe sture Kinn, dieselbe karamellbraune Haut und dieselbe Tingeltangel-Bob-Frisur, die mir bis zu den Schultern reichte. Das Einzige, was nicht zu mir gehörte, waren die grünen Augen – noch ein Andenken an Nadine.
Drei Tabletten reichten nicht, um meinen Magen zu beruhigen, vier Gläser Wasser konnten meinen Durst nicht stillen, meine Haut glühte wie im Fieber, selbst als ich mich bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte. Die Luft fühlte sich zäh an, schmeckte rostig und war zu feucht für meine Lungen. In meinem Kopf tobte das Chaos, zu viele Stimmen sprachen darin durcheinander. Ich brauchte Sauerstoff, mehr Platz und einen Ort, an dem die Wände sich nicht bewegten.
Ich ging in mein Zimmer, öffnete das Fenster und ließ die frische Nachtluft hereinströmen. Es war mir egal, dass ich in meiner Unterwäsche den Nachbarn ein wunderbares Gratisprogramm bot. Ich hatte noch nie eine Panikattacke erlebt, und wenn ich bedachte, wodurch sie hervorgerufen worden war, bezweifelte ich, dass das eine einmalige Erfahrung gewesen war.
Als hätte es mein unausgesprochenes Flehen erhört, klingelte in diesem Augenblick mein Handy. Ich brauchte mir weder den Namen noch die Nummer anzusehen oder den albernen Klingelton anzuhören, den ich für ihn ausgesucht hatte. Ich wusste einfach, wer dran war.
»Sam, alles in Ordnung? Was ist mit dir?«, fragte Caleb, sobald ich das Telefon am Ohr hatte.
»Schön, dass du anrufst. Ich hab nur …« Ich hielt inne, weil ich nicht wusste, wie ich meine Hysterie beschreiben sollte.
»Du hast nur was ?« Seine Stimme klang angespannt und ängstlich. Im Hintergrund waren Polizeifunk und Gesprächsfetzen zu hören, also war er immer noch bei seinem Auto.
»Nichts. Ich hab nur … mir geht so viel im Kopf rum«, wiegelte ich ab. Am besten sagte ich ihm nichts. Caleb hatte eigene Probleme. »Ich fühl mich nicht so gut.«
»Das merke ich. Leg dich doch hin. Ich bleibe am Telefon, bis es dir besser geht.«
»Ich dachte, du wolltest mich erst morgen anrufen«, stichelte ich.
»Das war, bevor mir aus dem Nichts heraus übel wurde und mich die Angst packte. Geh ins Bett. Ich bin bei dir.« Sein besänftigender Tonfall löste die Verspannungen in meinen Schultern und ließ meine Beine weich werden. Obwohl er sich immer so hart gab, übertrug er einen inneren Frieden auf mich, der mich von allem erlöste.
Ich kroch ins Bett und ließ mich von seiner Stimme einlullen. »Danke, aber das musst du nicht tun.«
»Ich tu das nicht nur für dich, Sam. Ich brauche dich eine Weile hier bei mir. Ich glaube, sonst kann ich später nicht schlafen. In Ordnung?«
»Aber immer«, flüsterte ich und stopfte mir ein Kissen unter den Kopf. Mir ging es ja genauso. Das gehörte dazu, wenn man einen Cambion zum Freund hatte – man teilte alle seine Gefühle. Pausenlos . Manche würden so eine innige Verbindung aufdringlich nennen oder sogar für einen Fluch halten, aber sie hatte auch ihre Vorteile, vor allem an diesem Abend.
Sein Seufzen drang durch das Telefon. Es klang genau so, wie ich mich fühlte. »Sprich mit mir. Über irgendwas.«
Ich überlegte einen Augenblick und fragte ihn dann: »Hast du Lust, zu Halloween bei einer Party aufzulegen?« Ich erzählte ihm von Courtney B.s Vorschlag und der Gratis-Publicity, die ihm das bringen würde.
Er atmete scharf ein. »Ja, hab schon gehört. So ein Rotschopf kam vorhin zu mir wegen eines
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