Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
Freund in Grund und Boden. Einige meiner Onkel verließen den Raum aus Angst, Ruiz könnte in ihrer zwielichtigen Vergangenheit herumstöbern. Die Frauen umkreisten den Detektiv, gurrten entzückt über seinen Nordstaatenakzent und vergaßen, dass ihre Männer anwesend waren.
Ich wusste immer noch nichts über Ruiz’ Beweggründe, aber er machte Mom glücklich. Vor allem war er kein Cambion oder etwas in der Art, was in meinen Augen ein echter Pluspunkt war. Mom war eine vorsichtige Frau, und das aus gutem Grund, aber es war nicht zu übersehen, wie sie aufblühte, wenn Ruiz in der Nähe war. Ich war nicht die Einzige, der das auffiel. Dad quetschte den Detektiv nach allen Regeln der Kunst aus und machte so ein Theater, dass Rhonda ihn mit den Worten beiseitenahm, sie müssten »reden«.
Nach dem Essen lichtete sich die Gästeschar, und ich konnte wieder den Boden sehen und den Müll, der liegen geblieben war. Überall rannten Kinder herum, die Frauen tratschten in der Küche, und die Männer versammelten sich im Wohnzimmer und schrien den Fernseher an, wenn der Touchdown nicht gelang. Wo ich auch hinsah, fläzten sich alle wie Robben am Strand und überließen sich der berauschenden Wirkung der Fressstarre.
Fressstarre, Nomen
Chemische Reaktion nach dem Zufluss von zu viel Blut in das Verdauungssystem, um große Mengen Essen zu bewältigen. Die Symptome zeigen sich häufig an Feiertagen und bei Zusammenkünften mit Schweinefleisch, Geflügel oder chinesischem Essen. Typische Symptome: Benommenheit, Müdigkeit, Faulheit, Verdauungsprobleme, Blähungen, plötzliche Gewichtszunahme und die Tendenz, mit der Schlemmerei nach einer Stunde von Neuem zu beginnen.
Ich saß auf der anderen Seite der Kücheninsel wie jedes Jahr, seit ich fünf war, und genoss das beste Unterhaltungsprogramm der Stadt. Meine Beine baumelten unter dem Hocker, während ich zuhörte, wie die Frauen tratschten und über die Männer in ihrem Leben lästerten.
An der paranormalen Front blieb alles ruhig. Tobias hatte nicht versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen, und wenn er wusste, was gut für ihn war, dann würde das auch so bleiben. Ich hatte heute keine Lust auf negative Gefühle. Ich war von Chaos umgeben, von warmem, liebevollem Chaos, und ich genoss es in vollen Zügen.
Mit meinem inneren Frieden war es jedoch vorbei, als Mom die Tür öffnete und Haden ins Haus trat. Meine Tanten und Cousinen strömten sofort herbei, um das Frischfleisch zu begutachten. Die Ross-Brüder hatten vielleicht einen Schlag bei den Damen, aber keiner von ihnen war den schamlosen Frauen in meiner Familie gewachsen.
Haden wand sich zwischen den zärtlich kneifenden und tätschelnden Händen hindurch und zog mich in eine stille Ecke. »Samara, du musst mitkommen.«
»Warum?«, fragte ich mit dem Mund voller Pekannusskuchen.
»Caleb ist verschwunden.«
Ich erstarrte mitten im Kauen und war nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte. »Was meinst du mit ›verschwunden‹?«
»Er ist nicht im Krankenhaus. Ich war einen Happen essen. Michael ging kurz aus dem Zimmer, um zu telefonieren, und als wir wiederkamen, war er weg. Drei Krankenschwestern, die heute Dienst hatten, wurden in die Notaufnahme eingeliefert. Herzprobleme.«
In seiner einfachen Erklärung schwangen tödliche Assoziationen mit. Für das Herz eines Spenders war der Vorgang des Energiesaugens eine große Belastung, und er konnte sterben, wenn er zu viel Energie verlor. Der Ernst der Lage brachte mich dazu, meinen Teller abzustellen und zu handeln.
»Glaubst du, das war Caleb?«, fragte ich.
»Na ja, wir waren es nicht«, gab Haden schnippisch zurück. »Schockiert es dich wirklich so, dass er bis zum Äußersten geht? Du warst nicht da, und er hungert nach Energie. Warum hast du ihn verlassen, als er dich am meisten brauchte?«
»Ich habe ihn nicht verlassen«, sagte ich. Ich wollte den Groll auf seinem Gesicht nicht sehen.
»Caleb muss es so verstanden und beschlossen haben, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ich hatte gedacht, das wäre der erste Ort, den er aufsuchen würde, aber da habe ich mich wohl geirrt. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Wenn er allein abgehauen ist, läuft er irgendwo rum und braucht unbedingt Energie. Aber wenn er entführt wurde …« Er beendete den Satz nicht, doch die Worte hingen wie Giftgas in der Luft.
Ich wollte nicht über die Möglichkeit einer Entführung nachdenken. »Was glaubst du, wo er ist?«
»Keine Ahnung. Deshalb brauche ich dich.
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