Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
sollte, die Welt dreht sich nicht nur um dich. Du bist nicht der Messias und auch nicht Gottes Geschenk an diese Welt. Du bist immer noch dasselbe Mädchen, das in der Achten wegen einer Wette eine Packung Ramen-Gewürz geschnupft hat, also komm runter von deinem hohen Ross.«
»Mia, ich …«
»Nein, Sam, du hast vielleicht vergessen, wer du bist, aber ich kenne dich. Sieh bloß zu, dass dich die ganze Aufmerksamkeit nicht davon abhält, dich verdammt noch mal zu entscheiden. Wenn du Malik willst, fein, geh mit ihm, aber halte sie nicht beide hin. Hast du das wirklich nötig? Ich jedenfalls werde ganz bestimmt kein Groupie in deinem Fanclub.«
Ich stand mit offenem Mund da, während sie an mir vorbei den Flur hinunterstapfte. Mia nahm nie ein Blatt vor den Mund, und der verletzte Ausdruck in ihren Augen hatte mir verraten, dass das schon lange in ihr gebrodelt hatte.
Ich drehte mich um und wollte ihr nachlaufen, hielt aber inne, als ich Tobias sah. Er lehnte an der Wand und genoss das Spektakel sichtlich. Um mich noch mehr zu beschämen, hob er einen Finger an die Lippen und fuhr über die kleine Kerbe unter der Nase. Seine Augen funkelten, als er lautlos Psst machte, bevor er um die Ecke verschwand.
Erst da wurde mir klar, wie viel von meinem Leben Lilith übernommen hatte, wie ein Pendel, das im Rhythmus der Unentschlossenheit hin und her schwingt. Ihr Verlangen machte mich schwach, und ich fügte mich einfach in mein vermeintliches Schicksal. Wenn Mom gewusst hätte, dass ich einem Typen erlaubte, mich so herumzuschubsen, hätte ich wirklich Hausarrest bekommen. Ich musste Angies Rat befolgen und die Dinge selbst in die Hand nehmen, Dämonengesetze hin oder her. Das war mein Haus, nicht Liliths, und dieser Tanz musste ein Ende haben, bevor die Musik ganz aufhörte zu spielen.
19
T hanksgiving war immer von einer Magie umgeben, die hervorragend zum Farbenspiel des Herbstlaubs passte.
Natur und Tradition taten sich zusammen und vollbrachten Dinge, die nur in dieser Jahreszeit möglich waren. Die verzauberte Stimmung war der reine Balsam, wie ein wärmender Umschlag aus Umarmungen, Lachen und gutem Essen. Verwandte reisten aus der Ferne an, die Arme voller Leckereien und guter Wünsche.
Nur zu dieser Zeit war es möglich, dass der Kühlschrank aus allen Nähten platzte und trotzdem alle bis zum Thanksgiving-Donnerstag hungerten. Und selbst dann setzte sich die Folter noch fort, denn niemand durfte die Küche betreten, wenn meine Oma ihren großen Auftritt hatte. Mit ihren eigenen Zutaten und Küchengeräten bewaffnet, schwitzte Nana über blubbernden Töpfen und quälte unsere leeren Mägen mit dicken Schwaden herzhafter Düfte.
Familienmitglieder – hauptsächlich väterlicherseits – ließen die Wände erzittern von ihrem Gelächter, Geschrei und Gläsergeklirr. Die Feier fand bei uns statt, weil Nanas Haus für große Gesellschaften zu eng war und Dad zu weit weg wohnte. Und was Grandpa Marshall anging, so wünschte sich jeder, er würde bei einem Brand das Zeitliche segnen. Unser Haus war neutrales Territorium, wo sich alle zusammenrissen, obwohl unsere Familienfeste nichts mit dem zu tun hatten, was man in Filmen sieht. Das Essen war eine Art Theaterdinner mit einer Parade komischer Kauze, die mir mehr oder weniger ähnlich sahen.
Dad kam mit seiner Frau Rhonda und den Zwillingen. Steif und etepetete, wie es ihre Art war, ging meine Stiefmutter von einem zum anderen und zwang sich mit einem dünnen, verächtlichen Lächeln zum Smalltalk. Ich ertrug jede kaum verschleierte Beleidigung, die sie mir an den Kopf warf, während meine Geschwister mein Zimmer durchwühlten und die Gäste terrorisierten.
Wenn Rhonda nicht gerade über einen der Anwesenden die Nase rümpfte, verbreitete sie ihre Verschwörungstheorie, dass Moms mangelhafte Erziehung die Ursache für mein »schlechtes Karma« sei. Der Rest der Familie sprach nicht über meine plötzliche Verwandlung, aber Rhonda versuchte, mich vor jedem bloßzustellen, der ihr zuhörte. Wenn sie gewusst hätte, wie nah ihre Einschätzung der Wahrheit kam, wäre ihr Geplänkel weit unhöflicher ausgefallen. Es kostete mich meine ganze Willenskraft, ihr nicht umgehend die Lebenskraft auszusaugen.
David Ruiz tauchte beim Abendessen auf und brachte einen Käsekuchen und einen Strauß Rosen für Mom mit. In der nächsten Stunde herrschte angespannte Stimmung – beim Verhörer wie beim Verhörten. Dad rutschte auf seinem Stuhl herum und starrte Moms neuen
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