Camel Club 01 - Die Wächter
Karriere erinnern. Unter Umständen liegen Jahrzehnte der Gewissensbisse vor Ihnen. Das wäre eine lange Leidenszeit.«
Nachdem er sich von Stone verabschiedet hatte, schlenderte Alex zu seinem Wagen. Was der Mann gesagt hatte, leuchtete ein. Auch aus Alex’ Warte gab es eine Reihe von Unstimmigkeiten, was Patrick Johnsons Tod betraf. Der Drogenfund wirkte tatsächlich wie eine allzu bequeme Lösung, und auch andere Einzelheiten passten nicht recht ins Bild. In Wahrheit hatte Alex, so gestand er sich jetzt ein, sich nur halbherzig um den Fall gekümmert und war nur zu gern bereit gewesen, sich den Schlussfolgerungen des FBI anzuschließen. Doch in Rente zu gehen, nachdem er wie ein Schlafwandler durch einen möglicherweise bedeutsamen Fall getappt war, war nicht seine Art. Schließlich hatte er seine Berufsehre. Und wenn ein US-Präsident seine Dienstzeit nicht verbummeln sollte, durfte man das auch von einem Secret-Service-Agenten verlangen.
Oliver Stone sah Agent Ford nach, bis dieser außer Sicht war; dann begab er sich zügig in sein Friedhofswärterhäuschen zurück. Von dort rief er mit dem Handy, das Milton ihm überlassen hatte, Caleb an und berichtete ihm von der neuesten Entwicklung. »So eine glückliche Gelegenheit musste ich einfach nutzen«, endete Stone.
»Du hast ihm aber nicht erzählt, dass wir den Mord beobachtet haben?«, fragte Caleb.
»Nein. Ford ist Bundespolizist. Ich hoffe, er stößt im NIC auf etwas, an das wir niemals herankämen.«
»Bringt ihn das nicht in Gefahr? Ich meine, wenn NIC-Mitarbeiter einen ihrer Kollegen hinrichten, kennen sie wohl auch keine Skrupel, einen Secret-Service-Agenten zu beseitigen.«
»Ford ist ein fähiger Mann. Aber wir müssen uns zusätzlich als seine Schutzengel betätigen, nicht wahr?«
Stone beendete das Telefonat und merkte mit einem Mal, dass er noch nicht zu Abend gegessen hatte. Er ging in die Küche, kochte sich eine Suppe und verzehrte sie vor einem zwischendurch rasch entzündeten Kaminfeuer. Auf Friedhöfen schien es immer kühl zu sein, unabhängig von der Jahreszeit.
Anschließend machte Stone es sich im alten Polstersessel am Kamin gemütlich und las ein Buch aus der bunt gemischten Büchersammlung weiter, bei deren Zusammenstellung ihm Caleb geholfen hatte. Mehr war ihm nicht geblieben: seine Freunde, seine Bücher, einige Theorien, ein paar Erinnerungen.
Irgendwann streifte sein Blick wieder einmal den Kasten mit dem Fotoalbum. Obwohl er wusste, dass es nicht gut war, legte er das Buch beiseite und verbrachte die nächste Stunde damit, in seiner Vergangenheit zu blättern. Besonders lange verweilte er bei den Bildern seiner Tochter. Eine Aufnahme zeigte sie mit einem Strauß Gänseblümchen in der Hand, ihre Lieblingsblume. Stone lächelte, als er daran dachte, wie sie das Wort immer ausgesprochen hatte: Gäntzeblimmchen. Auf einem anderen Schnappschuss blies sie die Kerzen auf einem Kuchen aus. Es war kein Geburtstagskuchen gewesen, wie Stone sich erinnerte, sondern eine Belohnung: An ihrer Hand hatte eine Wunde genäht werden müssen, weil sie in Glasscherben gestürzt war, und sie hatte sich dabei sehr tapfer gehalten. Die Schnittwunde hatte im rechten Handteller eine halbmondförmige Narbe hinterlassen. Jedes Mal, wenn er seine Tochter in den Arm nahm, hatte Stone diese Narbe geküsst. Er hatte sehr wenige Erinnerungen an sein Kind, sodass er sich verzweifelt an jede Kleinigkeit klammerte.
Schließlich kehrten seine Gedanken zur letzten Nacht seines Familienlebens zurück. Ihr Haus hatte in einer abgelegenen Gegend gestanden; sein Chef hatte darauf bestanden. Erst nach dem Überfall hatte Stone den Grund dafür erkannt.
Stone erinnerte sich noch an das Knarren, als die Tür aufschwang. Er und seine Frau waren, vom Kinderzimmer abgeschnitten, gerade zum Fenster hinausgeschlüpft, als die Schüsse fielen. Wupp – wupp – wupp. Stone wusste noch, dass er sich die Schalldämpfer bildlich vorgestellt hatte. Seine Frau hatte aufgeschrien, nur ein einziges Mal, und dann war es vorbei gewesen. Zwei der Männer, die man geschickt hatte, um Stone zu exekutieren, hatte er noch in derselben Nacht mit ihren eigenen Waffen getötet. Danach hatte er sich in Sicherheit gebracht.
In jener Nacht hatte Stone Frau und Tochter das letzte Mal gesehen. Schon am Tag darauf schien es, als hätte es sie nie gegeben. Das Haus war leer gewesen; alle Spuren des mörderischen Angriffs hatte man beseitigt.
Stone hatte viele Jahre lang vergeblich
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