Camel Club 02 - Die Sammler
zu haben, Tony.« Sie musterte den jungen Mann, bis er den Blick senkte.
Anschließend wandte sie sich an die gesamte Runde. »Okay, kommen wir zum ganz großen Ding.« Dann sah sie doch noch einmal Tony an. »Diesmal ist direkter Personenkontakt erforderlich. Wenn du dich nicht an die Anweisungen hältst, wanderst du ins Staatshotel, denn wir arbeiten mit Null-Fehler-Toleranz.« Tony lehnte sich zurück. Er wirkte nicht mehr ganz so begeistert. »Weißt du, Tony«, fügte Annabelle hinzu, »nichts ist aufregender, als dem Hammel, den du rasieren willst, Auge in Auge gegenüberzustehen und ihn und dich selbst auf die Probe zu stellen.«
»Stimmt. Weiß ich doch alles.«
»Bestimmt? Wenn du ein Problem damit hast, muss ich es jetzt wissen.«
Nervös blickte Tony in die Runde. »Ich sehe da kein Problem.«
»Gut. Wir fahren nach San Francisco.«
»Was gibt’s denn da?«, fragte Freddy.
»Post«, antwortete Annabelle.
Sie legten die sechsstündige Fahrt nach San Francisco in zwei Autos zurück. Leo und Annabelle saßen in dem einen Wagen, Tony und Freddy im anderen. Am Stadtrand mieteten sie für zwei Wochen ein Büro mit Teilaussicht aufs Golden Gate. An den nächsten vier Tagen teilten sie sich schichtweise die Beobachtung eines Bürogebäudes in einem teuren Vorstadtviertel. Sie interessierten sich für die Abholung der Post aus Briefkästen vor dem Haupteingang, die an den meisten Tagen aus allen Nähten platzten, sodass man beachtliche Mengen Post einfach daneben stapelte. Der Briefabholer traf an allen vier Tagen innerhalb eines Zeitfensters von einer Viertelstunde ein, immer zwischen siebzehn Uhr und siebzehn Uhr fünfzehn.
Am fünften Tag zog Leo pünktlich um sechzehn Uhr dreißig eine Briefträgerkluft an. Dann stieg er in ein Postfahrzeug und fuhr zu den Briefkästen. Annabelle hatte den Wagen von einem Kontaktmann besorgt, der darauf spezialisiert war, für zwielichtige Zwecke alle möglichen Vehikel zu beschaffen, von Rettungswagen bis zu Panzerfahrzeugen.
Annabelle saß in einem Auto, das den Briefkästen gegenüber geparkt war. Sie sah Leo mit dem Postkarren anrollen. Tony und Freddy standen am Eingang des Bürogebäudes. Sie hatten die Aufgabe, Leo per Ohrhörer zu warnen, sollte der echte Briefabholer früher erscheinen. Leo sollte nur einsacken, was sich außerhalb der Briefkästen greifen ließ, weil ihm ein Schlüssel zum Aufschließen fehlte. Er hätte die Schlösser leicht knacken können, doch Annabelle hatte es als überflüssig und – weil jemand es sehen konnte – zu riskant eingestuft und sich dagegen ausgesprochen.
»Was neben den Kästen liegt oder aus den Schlitzen ragt«, hatte sie erklärt, »wird uns dicke reichen.«
Als Leo nun die Post in den Wagen lud, drang plötzlich Annabelles Stimme aus seinem Ohrhörer. »Da kommt jemand mit Post auf dich zu, ’ne Sekretärin vielleicht.«
»Verstanden«, sagte Leo ganz leise. Er drehte sich um und blickte der Frau entgegen, die ziemlich enttäuscht wirkte.
»Wo ist denn Charlie?«, fragte sie.
Charlie, der echte Postabholer, war nämlich ein großer, gut aussehender Bursche.
»Ich helfe Charlie aus, weil heute so viel anfällt«, antwortete Leo höflich. »Darum bin ich etwas früher hier.« Er warf einen Blick auf ihre Briefe und hielt ihr den Postsack hin. »Schmeißen Sie sie gleich da rein.«
»Danke. Heute gehen die Gehaltsschecks raus. Sie sind alle da drin.«
»Echt? Na, dann wollen wir heute mal ganz besonders gut aufpassen.« Leo lächelte und lud noch mehr Post in den Wagen, während die Frau wieder im Bürogebäude verschwand.
In ihrem Mietbüro durchsuchten sie den Fang in aller Eile und trennten zügig das Brauchbare vom Nutzlosen. Annabelle ließ Tony die überflüssigen Briefe zu Eckbriefkästen und zum nächsten Postamt bringen. Den Rest nahmen Annabelle und Freddy näher in Augenschein.
»Ihr habt ’ne Menge Gehaltsschecks sausen lassen«, sagte Tony, als er zurückkam. »Wieso eigentlich?«
»Gehalts- und Verrechnungsschecks nützen uns nichts«, erwiderte Freddy mit der Gewissheit des Experten. »Die Druckertinte wird mittels Laserimprägnierung ins Papier geprägt, und der Zahlenblock ist elektronisch geschützt, also kann man den Scheckbetrag nicht ändern.«
»Ich hab das nie kapiert«, meinte Leo. »Diese Schecks gehen doch an Leute, die sie kennen.«
Freddy hielt einen Scheck in die Höhe. »So was hier suchen wir. Den Erstattungsscheck einer Versicherung.«
»Aber die werden doch Fremden
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