Camel Club 04 - Die Jäger
einer frisch gekochten Mahlzeit. Melanie drückte ihren Vater, schob ihn ins Haus und half ihm aus dem Mantel.
»Ich hätte nicht gedacht«, sagte Knox, »dass vielbeschäftigte Anwältinnen einer Privatkanzlei noch die Zeit finden, für sich selbst zu kochen, geschweige denn für jemand anders.«
»Gib lieber erst ein Urteil ab, wenn du gegessen hast. Ich gucke mir keine Fernsehköche an und halte mich für keine gute Köchin. Aber zumindest habe ich in wohlwollender Absicht gehandelt.«
Melanie kam weniger nach ihrem Vater als nach seiner verstorbenen Frau Patty. Sie war groß und schlank und hatte rotes Haar, das sie gewöhnlich zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Die Absolventin der University of Virginia war eine aufstrebende junge Staranwältin bei einer renommierten Washingtoner Anwaltskanzlei. Melanie war das ältere seiner beiden Kinder; Knox’ Sohn Kenny diente derzeit mit anderen Marines im Irak. Melanie hatte die Aufgabe übernommen, sich um ihren Vater zu kümmern und zu verhindern, dass er verhungerte oder sich wegen des kürzlichen Todes ihrer Mutter, mit der er dreißig Jahre verheiratet gewesen war, in Selbstmitleid suhlte.
Zum Essen, das sie im Wintergarten zu sich nahmen, tranken sie eine Flasche Amarone. Melanie plauderte ein bisschen über den Fall, den sie zurzeit bearbeitete. Mit den Jahren hatten Knox’ Sprösslinge sich daran gewöhnt, dass er nie etwas über seine Arbeit erzählte, weder ihnen noch sonst wem. Sie wussten nur, dass er um die Welt reiste – manchmal auf Abruf – und bisweilen länger fortblieb. Knox’ eigner Aussage zufolge diente er dem Heimatland auf einem »kleinen Pöstchen im Außenministerium«.
»Ich bin so unwichtig«, hatte er einmal zu Melanie gesagt, »dass man mich durch die Gegend schicken kann, wann immer man Lust hat, und ich muss mich jedes Mal sofort auf die Socken machen.«
Diese Ausrede hatte sich bis zum Alter von zwölf, dreizehn Jahren bewährt, doch als seine frühreife Tochter auf die Highschool kam, hatte Knox erkannt, dass sie nicht mehr daran glaubte. Allerdings hatte sie nie versucht, die Wahrheit aufzudecken – ebenso wenig wie Knox’ Sohn, der es als alltäglich betrachtete, dass sein Vater ab und zu für gewisse Zeit verschwand. Außerdem hatte Kenny Knox als Obergefreiter im Kriegseinsatz ganz andere Sorgen, als sich zu fragen, womit sein Alter sich eigentlich die Brötchen verdiente.
»Als du abgesagt hast«, erklärte Melanie nun, »dachte ich zuerst, du steigst gleich in irgendein Flugzeug. Aber als du sagtest, du seist heute Abend wieder zu Hause, habe ich beschlossen, doch etwas zu kochen.«
Knox nickte bloß, trank von dem Wein und blickte hinaus auf die Bäume im Garten hinter dem Haus, die von auffrischendem Wind gebeugt wurden, dem Vorboten eines weiteren Gewitters. »Wie läuft es auf der Arbeit?«, fragte Melanie.
»Heute habe ich nur in ein paar alten Akten gewühlt. Aber es hat mir kaum weitergeholfen.«
Die Situation war schwierig für Melanie. Die meisten Kinder wussten, wie ihre Eltern sich ihren Lebensunterhalt verdienten, und machten sich weiter keine Gedanken darüber. Knox jedoch hatte die Einladungen zu Schulfesten, Elternsprechtagen und Ähnlichem stets abgelehnt. Was hätte er auch erzählen sollen?
»Hast du mal wieder an den Ruhestand gedacht?«, wollte Melanie wissen.
»Ja, ich denke sehr konkret daran. Praktisch bin ich schon mit einem Fuß in Rente.«
»Es wundert mich, dass das Außenministerium ohne dich funktioniert.«
Vater und Tochter wechselten einen kurzen Blick und schauten dann fort, befassten sich mit ihrem Wein und den letzten Überbleibseln Roastbeef und Kartoffeln.
Als sie sich verabschiedete, ließ Melanie die Arme ein bisschen länger auf den breiten Schultern ihres Vaters ruhen. »Pass auf dich auf, Dad«, sagte sie leise. »Wir leben in gefährlichen Zeiten.«
Er sah ihr nach, als sie zu dem Taxi ging, das sie gerufen hatte, um sich zu ihrer Eigentumswohnung im D. C. bringen zu lassen. Als es abfuhr, winkte sie ihm.
Knox winkte zurück. Flüchtige Erinnerungsbilder aus den vergangenen dreißig Jahren stoben durch seine Gedanken und fanden ihren Abschluss mit dem Abbild von Macklin Hayes, der ihm empfahl, »verdammt hochgradig vorsichtig« zu sein.
Seine Tochter hatte recht. Es herrschten tatsächlich gefährliche Zeiten.
Knox hatte die Absicht, Hayes am Morgen anzurufen. Am frühen Morgen. Der General war als Frühaufsteher bekannt. Und als früh aufstehender General glaubte
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