Camel Club 04 - Die Jäger
hin und wieder vor Gericht verhandelt wird. Auf persönlicherer Ebene ist es allerdings so, dass unsere Einwohner sich von Zeit zu Zeit in Rechtsfragen oder mit der Bitte um Rechtsberatung an mich wenden, und ich versuche, ihnen zu helfen, so gut ich kann. Zum Beispiel habe ich Abby Riker nach Sams Tod geholfen, das Restaurant und andere Immobilien auf ihren Namen überschreiben zu lassen.«
»Im Rahmen der Nachbarschaftshilfe«, sagte Tyree.
»Genauso ist es. Schließlich ist Divine ein kleines Nest.«
»Hört sich an, als hätten Sie viel zu tun.«
»Ja, aber wenigstens finde ich noch genug Zeit zum Jagen und Angeln. Und ich mache gern Wanderungen. Wir haben hier eine schöne Landschaft.«
Einen Moment lang schwiegen sie, während eine Mutter mit zwei Kindern vorüberging. Tyree tippte sich an den Hut und wuschelte den Kindern durchs Haar. Der Richter schenkte der Familie ein gütiges Lächeln.
»Tja, dann will ich mich mal wieder auf die Socken machen«, sagte Stone, als die Familie sich entfernt hatte.
»Woher kommen Sie eigentlich, Ben?«, fragte Mosley.
Stone krampfte sich der Magen zusammen. Nicht, weil Mosley diese Frage stellte, sondern wie er sie aussprach. Oder war er inzwischen paranoid geworden?
»Ach, ich hab mal da und mal dort gelebt«, sagte er. »Mir stand nie der Sinn danach, irgendwo Wurzeln zu schlagen.«
»Bei mir war es das Gegenteil. Die ersten dreißig Jahre meines Lebens habe ich in Brooklyn gewohnt. Danach habe ich einige Zeit in Südamerika und dann in Texas zugebracht, nahe der Grenze. Aber nirgends habe ich eine so schöne Gegend wie hier gesehen.«
»Wie hat es Sie denn nach Divine verschlagen?«, fragte Stone und fügte sich in das banale Frage-und-Antwort-Spiel, um den Richter nicht misstrauisch zu stimmen.
»Purer Zufall. Nach dem Tod meiner Frau bin ich auf dem Rückweg nach New York hier durchgefahren und hatte eine Autopanne. Als der Wagen ein paar Tage später repariert war, hatte mich die Begeisterung für dieses Städtchen gepackt.«
»Und für uns war es ein Glück«, sagte Tyree.
»Seitdem hat sich die Einwohnerschaft vervielfacht«, fuhr Mosley fort. »Jedenfalls hat der Umzug mir über den Tod meiner Frau hinweggeholfen.« Er blickte Stone an. »Möchten Sie auch eine Wanderung machen?«
»Eigentlich bin ich zu Abby unterwegs. An ihrem Haus müssen ein paar Arbeiten erledigt werden.«
»Die Mittsommerfarm ist ein wunderschönes Anwesen.«
»So nennt sie es?«, fragte Stone.
Mosley nickte. »In Abwandlung eines Shakespeare-Titels. Es verkörpert einen Traum. Ich glaube, in gewisser Weise leben wir hier alle in einem Traum, so abgesondert vom Rest der Gesellschaft.«
»Und das ist nicht das Schlechteste«, merkte Tyree an. »Um den Rest der Gesellschaft steht es nämlich nicht allzu gut. Divine macht seinem Namen alle Ehre. Finde ich jedenfalls.«
Mosley verabschiedete sich und ging.
Tyree nahm den Hut ab und strich sich übers Haar. »Also dann, Ben, schönen Tag noch. Überarbeiten Sie sich nicht.«
Tyree ging ins Gefängnisgebäude zurück, und Stone setzte den Weg zu Abbys Wohnsitz fort.
Zur Mittsommerfarm.
Einem Traum.
Oder einem Albtraum.
KAPITEL 17
Als Stone über die Hauptstraße von Divine schlenderte, wurde ihm rasch klar, dass sämtliche Läden einträglich waren und ihre Kunden zufrieden wirkten. Es fiel ihm schwer, diese Beobachtung mit dem Anblick der verkrümmten Bergleute in Einklang zu bringen, denen er beim Frühstück in Ritas Restaurant begegnet war, mit ihren schmutzigen Gesichtern, den knotigen Händen und den von Kohlenstaub verkrusteten Lungen. Doch seine Gedanken schweiften rasch wieder in eine andere Richtung und beschäftigten sich mit der Reportage, die er im Fernsehen gesehen hatte.
Spuren. Zeugen. Ein Zusammenhang zwischen den beiden Morden.
Als er in ein Schaufenster blickte, sah er es. Viele Jahrzehnte lang war es allgegenwärtig gewesen, während es heutzutage nur noch schwer zu finden war – zumindest entdeckte man selten eines, das noch funktionierte. Auch in dieser Hinsicht schien Divine dem Vorbild der restlichen Nation langsamer zu folgen als der durchschnittliche Lemming.
Stone betrat das Ladengeschäft, den Blick auf das Münztelefon geheftet; dann erst gewahrte er das Schild hinter der Ladentheke: Appalachisches Kunsthandwerk. Tatsächlich bogen sich die Regale unter dem Gewicht zahlreicher aus Holz, Stein und Lehm gefertigter Skulpturen. An den Wänden hingen Gemälde, Zeichnungen und Fotos, die Berge,
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