Camorrista
gleich in den Garten, dann brechen sie mir das Haus ab. Ich habe ein Gewehr, wenn Sie mir die Erlaubnis geben, schieße ich. Was soll ich tun? Schießen?«
Er erwartet auch noch eine Antwort.
»Ich warne Sie, ich will niemanden umbringen, aber die wollen mein Haus niederreißen. Entweder kommen Sie und nehmen die fest oder ich schieße. Hören Sie mich? Hallo, Polizei?«
Ich sehe auf den Wecker. Zehn nach fünf. Ich schließe die Augen und versuche den richtigen Ton anzuschlagen.
»Ich höre dich. Aber hier ist nicht die Polizei.«
»Wieso nicht?«
»Hier ist Rosa.«
Er macht eine Pause, atmet heftig in den Hörer.
»Und wieso, entschuldige, wo arbeitest du denn?«
»Geh wieder ins Bett, Papa. Bitte.«
Ich komme kurz vor sechs in der Abtei Spaccavento an.
In Florenz habe ich an einer Ecke meines Schreibtischs ein Stück Himbeerkuchen zu Mittag gegessen. Wir hatten sechsunddreißig Grad, und ich fühle mich wie ein Lumpen, den man auswringen sollte. Das Deodorant hat in der Toilette der Raststätte seinen Geist ausgehaucht, und ich kann es nicht erwarten, unter die Dusche zu kommen.
Am Telefon hat Padre Jacopo mir erzählt, dass Giovanni
Russo, also die Bestie Daniele Mastronero, genannt Cocíss, heute sogar dabei geholfen hat, Holz zu stapeln. Eine Viertelstunde, nicht länger, dann hat er sich wieder auf seine Lieblingsbank im Garten gesetzt und geraucht. Er schafft es nicht, sich an feste Zeiten zu halten, nicht mal an die Essenszeiten. Es hilft auch nicht, ihn hungern zu lassen, wenn er sich zu spät im Speisesaal einfindet. Cocíss protestiert nicht, er isst, was die anderen übrig gelassen haben, und kümmert sich dann wieder um seine eigenen Angelegenheiten. Ab und zu sieht man ihn Rumpfbeugen und Bauchmuskelübungen machen. Nachts bleibt er oft wach, im Fernsehzimmer, allein, im Dunkeln. Gegenüber den Mitarbeitern ist er wortkarg, mit den anderen Jugendlichen raucht er höchstens mal eine Zigarette. Fernsehen interessiert ihn nicht. Gestern hat er den ganzen Abend den rumänischen Mädchen zugeschaut, die eine Art Volkstanz improvisierten. Niemand im Zentrum wagt es, ihn zu fragen, warum er ständig die Sonnenbrille trägt, und tatsächlich scheint sich niemand mehr besonders darüber zu wundern. Sie glauben, dass er eine Krankheit hat. Oder dass es einfach sein persönlicher Stil ist.
Ich schlage mich mit meinen eigenen Fläschchen herum. Bevor ich die Abtei betrete, trinke ich die dritte Flasche aus. Noch eine, und ich habe auch heute die Quote von zwei Litern Wasser erreicht.
Ich warte auf ein Gespräch mit Padre Jacopo in einem Raum, der an das Empfangszimmer einer Gebirgspension in den fünfziger Jahren erinnert. Aus dem Garten ist Lärm zu hören. Ich will nach draußen sehen, schließe aber bei dem Versuch sofort die Augen. Weißes Feuer schlägt mir entgegen und erinnert mich daran, dass ich seit drei Nächten nicht mehr richtig geschlafen habe.
Mit Sonnenbrille erkenne ich, dass ein Fußballspiel im Gange ist. Metalleimer als Pfosten und gemischte Mannschaften. Den Typen mit dem roten Sweatshirt haben sie ins Tor gestellt, zusammen mit dem Hund; Joséphine erregt Aufmerksamkeit,
ein anderes Mädchen schlägt sich auch nicht schlecht, und ein Typ mit O-Beinen schafft es, jedem, der bei ihm vorbeikommt, den Ball abzunehmen. Die anderen, alle dahinter, drängen und schreien. Hin und wieder stürzt einer sich verbissen auf den Ball oder berührt ihn mit der Hand, und das Spiel wird unterbrochen.
Ich erkenne ihn nicht sofort, weil er sich das gelbe T-Shirt um den Kopf gebunden hat. Er hat schnelle Reflexe, doch er ist nicht besonders gewandt. Sein Oberkörper ist steif, die Arme hält er weit vom Körper weg wie eine Bulldogge die Pfoten. Wenn er den Ball bekommt, gibt er ihn nie ab, und es endet immer damit, dass er fällt oder ihn zu fest, zu weit schießt.
Cocíss spielt ohne Sonnenbrille. Ich habe den Eindruck, dass sich trotz des allgemeinen Chaos alle hüten, ihn auch nur anzustoßen.
Er wirft sich aufs Bett, Hände in den Taschen.
»Wir müssen reden. Aber trockne dich vorher wenigstens ab.«
Er nimmt die Brille herunter, sieht mich schief an, reibt sich dann das Gesicht und die Haare mit einem weißen T-Shirt ab. In einem Anfall von Paranoia frage ich mich, ob irgendeiner im Zentrum wissen kann, dass der Capozona des Viertels 167 zwei unverwechselbare Merkmale unter den Augen hat. In den Zeitungen gab es kein Foto von ihm. Nur Fedele Scurante, stellvertretender Boss
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