Camorrista
rosa Umhängetuch, geschminkt und frisch vom Friseur.
»Gut sehen wir aus«, sage ich.
Sie gibt mir einen Kuss, lächelt aber nicht. Sie sagt nichts, aber ich verstehe sofort, was los ist. Mein Vater schreit von der Kellertreppe her, dass sie nicht gehen soll, ihn nicht allein lassen soll. Dass sie kommen und das Haus abreißen werden.
Sie hebt die Arme, holt sich ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. Blaues Krokodillederimitat. Klein, aber absolut auffällig.
An der Kellertür hängt ein Blatt Papier, mit einem Stück Isolierband angeklebt. Die Zeilen sind dicht gedrängt und gehen bis an den Rand. Es ist so etwas wie eine zusammenhanglose Anzeige, gerichtet an einen nicht näher definierten »Euer Ehren«. Mir fällt ein, dass mein Vater früher keine einzige Folge von Perry Mason verpasst hat. Er fand es immer schade, dass ich die Serie nicht zusammen mit ihm angeschaut habe, doch mir war sie zu langweilig. Ich ging lieber in die Küche, um mir Trickfilme und Videoclips anzusehen.
Ich lese nur die ersten Worte, dann wird die Tür geöffnet. Mein Vater trägt einen blauen Trainingsanzug und Sandalen mit Socken. Er ist blass, und seine Haare sind wirr. Als er mich umarmt, rieche ich, dass er einen furchtbaren Atem hat.
»Du lässt mich nicht im Stich, stimmt’s? Du bist doch bei der Polizei, du wirst sie festnehmen, stimmt’s?«
»Die übliche Komödie, jedes Mal, wenn ich ausgehen und mich eine halbe Stunde ablenken will! Den ganzen Tag lang schließt er sich in diesem Loch ein und tut so, als gäbe es mich gar nicht!«
Meine Mutter schreit. Die Hände in die Hüften gestützt, steht sie vor der Garderobe.
»Deine Mutter hat den Verstand verloren«, bemerkt mein Vater.
»Wegen dir verliere ich ihn noch, wegen dir.«
»Hör nicht auf sie, Rosa. Wenn ich nicht hier wäre und nachts Wache hielte, wären sie schon gekommen und hätten das Haus abgerissen.«
Meine Mutter hängt das Umhängetuch zurück in die Garderobe, zieht sich die Schuhe aus und stellt die Handtasche hin. Sie lässt sich auf einen Stuhl fallen und fängt an zu weinen.
»Weine nur, meine Liebe. Wenn wir am Ende sind, ist das auch deine Schuld« - das ist die Art meines Vaters, es noch schlimmer zu machen und mein Programm für den Abend zu ruinieren.
Ich überrede meine Mutter, ihr Make-up aufzufrischen und doch auszugehen. In der Küche decke ich den Tisch für meinen Vater und mich, aber nur unter der Bedingung, dass er sich vorher im Bad ein bisschen frisch macht. Die Situation beruhigt sich, und ich werfe einen Blick in den Kühlschrank. Roastbeef, Püree und Obstsalat. Das Brot ist von gestern, wir werden uns mit Toastbrot behelfen.
Mein Vater kriegt den x-ten Rüffel für die schlechte Angewohnheit,
sich die Haare mit speichelfeuchten Fingern glatt zu streichen. Ich schicke ihn mit der Anweisung, den Kamm zu benutzen, zurück ins Bad und helfe inzwischen meiner Mutter bei der schwierigsten Operation: die geschwollenen Füße in die Schuhe zu zwingen.
Sie erzählt mir, dass ein paar Freundinnen angefangen haben, Burraco zu spielen. Ein Blick von mir, von unten nach oben, und sie fügt hinzu: »Es wird nicht um Geld gespielt. Nur so zum Zeitvertreib.«
Sie fragt mich, ob mir ihr Tuch gefällt. Perlgrau und altrosa, ein Markenartikel, ziemlich schlicht für den Geschmack meiner Mutter. Also sage ich mit Überzeugung in der Stimme ja. Ich hätte erwartet, dass sie erzählt, in welchem Geschäft sie es gekauft hat und wie viele sie sich von der Verkäuferin hat zeigen lassen, bevor sie sich entscheiden konnte, doch sie steht auf und vertieft das Thema nicht weiter. Ich schließe daraus, dass das Tuch nicht echt ist und sie es auf dem Markt gekauft hat, und gehe zurück in die Küche, wo mein Vater, in der Erwartung, dass ihm das Essen serviert wird, den Fernseher angemacht hat.
»Gestern wurde der Bankdirektor in den Nachrichten gezeicht. Sie haben ihn interviewt, er saß in einem Bagger. Er hat gesagt, dass er fünf oder sechs Häuser jeden Tag abreißt.«
»Wie viele Scheiben Fleisch willst du?«, frage ich ihn, doch er antwortet mir nicht. Er starrt auf den Bildschirm und drückt so lange auf den Tasten der Fernbedienung herum, bis er eine Nachrichtensendung findet.
Das Elektromesser funktioniert nicht. Ich schneide das Fleisch mit der Hand und sehe, dass es zu lange gebraten wurde und von Fett durchzogen ist.
»Es ist eklig«, meint mein Vater. »Alles ist eklig, was man heutzutage isst. Das ist alles die Schuld der
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