Camorrista
darum, dass die Ärmel ihres Pullis nicht über die Ellbogen rutschen.
(In diesem Flecken herrscht nachts eine erdrückende Stille.)
Den Kaffee trinke ich mit Reja auf der Flughafenterrasse. Er trägt einen hellgrauen Anzug und ein schwarzes Polohemd. Er wartet auf das Boarding für den Flug nach Frankfurt, und sein Handy klingelt ohne Unterbrechung. Ich gebe ihm den Bericht, doch er verzieht nur wie üblich die Lippen und hebt das Kinn, bevor er sich über ein Cremetörtchen hermacht (was heißt: bitte kurz fassen).
»Er gewöhnt sich ein und scheint nicht die Absicht zu haben, Ärger zu machen.«
»Wie lange siehst du ihn täglich?«
»Ein paar Stunden, vormittags und nachmittags.«
»Und wenn wir ihn allein unterbringen, was meinst du?«
Sinnlos zu versuchen, es mit Worten zu beschönigen. Ich habe schon das Gesicht verzogen, und Reja hat es bestimmt im Fenster gesehen, obwohl er so getan hat, als würde er eine DC9 bei der Landung beobachten. Ich leere ein weiteres Tütchen Zucker in den Cappuccino (Reja hat nur ein einziges genommen, und zwar eins mit Süßstoff).
»Entweder schließt er sich ins Haus ein, oder er wird erkannt, sobald er den Mund aufmacht. Er kommt mir vor wie der geborene Boss, er kann nur kommandieren. Aber das Problem besteht darin, dass er trotz allem erst achtzehn Jahre alt ist. Und ich glaube nicht, dass er die Situation in ihrer ganzen Tragweite versteht.«
Reja nickt und tupft sich den Mund ab (was heißt: ist mir scheißegal, was der Typ versteht).
»Für den Augenblick habe ich es nicht in den Bericht geschrieben, aber er will keine Operation.«
»Wie undankbar von ihm. Bei dem, was es uns kostet. Ach, übrigens: Wir haben uns für die Klinik in Slowenien entschieden.«
»Warum? Ist sie billiger?«
»Nein. Weil sie die sicherste ist und wir alles schwarz machen
können. Und außerdem arbeitet in der Klinik in Rom eine junge Doktorin, die die Nichte von Sergio Scurante ist, während bei der Nuova Salibel mit 41 Prozent eine Finanzierungsgesellschaft der Iannotto drinhängt. Weißt du, wer die sind?«
Ich gestehe ihm, dass ich es nicht weiß.
»Sie beherrschen den Markt der Ankerplätze unten im Touristenhafen, in Baia Nerva. Sie haben beste Beziehungen zu Saro Incantalupo, der alle Lokale unter sich hat, wo die Sänger, Fußballspieler und Fernsehgrößen hingehen. Seit er unauffindbar ist, kümmern sie sich offenbar um einige Geschäfte in Italien.«
Eine plötzliche Angst bringt mich dazu, eine Art Rechfertigung zu stammeln.
»Nein, das konntest du nicht wissen. Es handelt sich um Ermittlungen, die noch längst nicht abgeschlossen sind, weil die Rechtshilfeersuchen an die Schweiz und die Kaiman-Inseln alle feststecken. Was soll man machen, aber ohne dass man das überprüft hat, riskiert kein Richter seinen Kopf und seine Karriere, um dann nachher vielleicht als übereifriger Idiot dazustehen. Doch die Mafiafahnder der DIA haben gewisse Abläufe rekonstruiert.«
»Und nach Slowenien müssen wir ihn bringen?«
»Das weiß ich nicht. Mit Sicherheit holen wir ihn da aber nicht wieder ab.«
(Endlich eine gute Nachricht.)
»Wohin wird er dann gebracht?«
»Offenbar ins Friaul, weil es da im Moment verfügbares Personal gibt. Ich habe mich aber dagegen ausgesprochen, denn mit der Grenze und dem Spielkasino in der Nähe verfällt er leicht wieder in alte Gewohnheiten. Er kann rein gar nichts, und er ist mutterseelenallein.«
Ruckartig hebt Reja den Kopf zu einem der Monitore über der Bar.
»Gate 6. Ich muss los.«
Er geht zahlen, und die Bedienung schenkt ihm ein strahlendes
Lächeln. Reja macht schon Eindruck. Wenn einem der effiziente, anständige, vernünftige Typ gefällt. Ein bisschen vorhersehbar, doch bei der Arbeit, scheint mir, überlässt er nichts dem Zufall.
Wenn er sich jetzt also von mir verabschiedet und mich daran erinnert, mir immer den Gesamtüberblick zu bewahren, wird er einen Grund dafür haben.
Er will eine Playstation und einen Fernseher mit Flachbildschirm. Dann diktiert er mir eine ziemlich präzise Liste: drei schwarze T-Shirts und zwei Tanktops, Baumwolle mit Stretch, zwei Sweatshirts, aber ohne Kapuze, ein rotes und ein weißes, mit Reißverschluss und Schrift vorne, und zwar eine schöne große Schrift, betont er (was da geschrieben steht, ist offensichtlich ein für ihn mehr als irrelevantes Detail). Er fährt fort und zeigt mir die gewünschte Marke an einem Paar Unterhosen, die er aus einem kleinen Haufen in einer Ecke
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