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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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Blutergüsse auf den Hüften, direkt unter den Rippen und auf der vollständig enthaarten Brust hat. Padre Jacopo und ich schauen uns an, ohne etwas zu sagen.
    »Padre Jacopo ist hier der Chef«, sage ich. »Er ist nicht beleidigt, wenn du ihn grüßt.«
    Cocíss zieht sich ein enges gelbes T-Shirt mit einer roten Fünf auf der Vorderseite an.
    »Guten Abend, Chef«, sagt er mit der mechanischen Freundlichkeit eines Animateurs.
    »Ciao. Ich bin Jacopo.«
    »Das ist Giovanni«, komme ich ihm zuvor. Er hat sich bestimmt nicht die Mühe gemacht, seinen Namen zu lesen.
    Cocíss wendet sich mir zu und lässt für einen Augenblick seine Augen aufblitzen. Padre Jacopo steht auf, schiebt seinen Stuhl unter den Tisch, geht dann auf den kleinen Bastard zu und hält ihm die Hand hin. Seine langen Finger wirken wie Zweige ohne Blätter.
    »Was kannst du?«, fragt er ihn.
    »Ich?«, sagt er belustigt. »Kommt darauf an.«
    Der Padre wartet noch, die Hand ausgestreckt.
    »Ich kann, wozu ich Lust habe«, sagt Cocíss schließlich, wendet ihm dann den Rücken zu und fängt an, seine Tasche zu ordnen. Ohne die Tüten, wiederholt er, findet man verdammt noch mal nichts mehr.
     
    Ich bin nicht mehr das elektrische Mädchen. Ich habe keine Superkräfte.
    Und zum Glück habe ich mit dreißig die Phase überwunden, in der ich unwiderstehlich von den verzweifeltsten menschlichen Fällen angezogen wurde. Ich bin jetzt eine reife Frau. Und damit in der Phase, in der ich unwiderstehlich die verzweifeltsten menschlichen Fälle anziehe.
    Im Augenblick aber kann ich wirklich meine Nächte nicht damit verbringen, die Batterien eines Vierzigjährigen aufzuladen,
der sich treiben lässt. Ich dachte, Antonello hätte das verstanden, da er doch ohne Zweifel der intelligenteste meiner aktuellen Verehrer ist.
    Und dann schickt er mir diese Nachricht.
    »Nie mein Schicksal in die Hand genommen. Möchte das bei deinem tun.«
    (Mal ehrlich.) Wir haben uns vor einem Jahr kennengelernt und ein paar Wochenenden fern von allen und allem miteinander verbracht, vor allem fern von unseren Leben. »Frag mich nichts«, hat er zu mir gesagt und mit einem schmalen Ehering aus Weißgold herumgespielt. Er hat den Ring nie abgelegt, und ich habe es so genommen, wie es war. Ich hatte damals noch Nachtschicht bei der Verkehrspolizei von Casale Monferrato, nahm unmögliche Züge, die um fünf Uhr morgens den Nebel durchbrachen und die Krähen von den Schienen aufscheuchten. Um ihm zu gefallen, habe ich wieder angefangen, auf mich zu achten. Ihm zu gefallen hieß, dass ich auch mir selbst wieder zu gefallen begann, und dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Es hat mir nichts ausgemacht, dass er verheiratet war. In meiner damaligen Verfassung war das für mich eher eine Garantie begrenzter Verpflichtung: Ich fragte ihn nichts, er war es, der anfing, mir alles zu erzählen. Ich war bereit, einen sehr hohen Preis für unsere wundervollen Wochenenden und seine außergewöhnliche Liebenswürdigkeit zu zahlen. Mich nach einer Schicht im Streifenwagen von ein bis sieben Uhr in einer normalen Samstagnacht des kollektiven Durchdrehens auf die Autobahn zu begeben. Sein verlegenes Gesicht jedes Mal, wenn ihn seine Frau anrief. Und auch die Blasenentzündung aus unseren Flitterwochen, die sich in diesen Tagen wieder gemeldet hat. Doch ich war nicht bereit, seine Klagemauer zu werden. Nein danke, entschuldige vielmals, nein. Ich habe den Eindruck gehabt, dass er, bevor er mit mir ins Bett ging, alles getan hatte, um mich zu verstehen, und nun, da es passiert war, war ich dran, ihn zu verstehen, seine zerstörte Ehe, sein trauriges Umherziehen von einer langweiligen jungen Geliebten
zur nächsten. »Glaubst du wirklich, das ist nötig?«, habe ich ihn eines Tages gefragt. »Frag mich nichts«, hat er mir geantwortet.
    Seit damals verkehren wir nur noch per SMS miteinander. Ich beschließe, es ins Philosophische zu wenden, ohne beurteilen zu wollen, ob ihn das demoralisiert oder noch mehr anstachelt.
    »Und wenn ich kein Schicksal hätte?«
    Es ist sieben Uhr, ich habe gerade mal eine Stunde, um mich zurechtzumachen. Also nehme ich das Handy mit ins Bad, auch weil ich neugierig bin, was er mir antwortet.
    Und vor allem: wann.
     
    Das Programm für meinen Abend sieht ein Essen mit Freunden vor, auf einem »Biobauernhof« an der Provinzstraße, die von der Küste Richtung Volterra führt. Das Haus meiner Eltern liegt zum Glück auf dem Weg. Meine Mutter öffnet mir, gehüllt in ein

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