Camorrista
des gleichnamigen Clans - sein Vater wartet darauf, an Prostatakrebs zu sterben -, hatte die Ehre, im Unterhemd abgebildet zu werden, wie sie ihn aus einem Hinterhoflabyrinth durch eine kleine Tür aus kugelsicherem Glas abführen.
»Worüber?«
Ich nehme den Stuhl und setze mich hin, die Arme über der Lehne.
»Diese beiden Zeichen, die du im Gesicht hast.«
Er bewegt kaum das Kinn. Die Strähnen schweißnassen
Haars, die ihm über die Augen fallen, sind schwarz und dünn wie Spinnenfüße.
»Was ist damit?«
»Diese Narben müssen weg.«
»Du bist ja verrückt.«
»Wir lassen dich operieren. Spätestens in einer Woche.«
»Lass du dich doch operieren, das ist besser.«
»Der Punkt ist«, fahre ich fort, »dass man dich daran wiedererkennen kann.«
Er zeigt mir die Tür, ohne vom Bett aufzustehen, mit der Geste von jemandem, der es gewöhnt ist zu befehlen.
»Würdest du bitte gehen?«
»Und das ist eine Gefahr.«
»Da scheiß ich drauf«, brüllt er (nein, so geht das nicht). »Raus!«
Ich stehe auf und schleudere den Stuhl gegen die Wand. Instinktiv erwartet Cocíss einen Angriff, setzt sich blitzartig auf, sagt aber nichts mehr. Ich gewinne zehn Sekunden seiner Aufmerksamkeit. Nicht mehr.
»Ich stelle dir nur eine Frage.«
»Jetzt schreibst du womöglich, dass ich den Stuhl kaputtgemacht habe, was?«
»Vergiss den Stuhl. Hast du dich zufällig mal gefragt, wie viel du wert bist?«
»Was willst du von mir?«
»Rechne mal kurz. Was würde es kosten, dich erschießen zu lassen?«
Er legt sich eine Hand auf den Reißverschluss der Hose.
»Ich schätze mal, dass vielleicht schon 1000 Euro reichen, um einen wie dich umzubringen. Höchstens 1500.«
»Und was zahlen sie dir?«
»Ungefähr das Gleiche. Nur dass sie es mir zahlen, damit du nicht umgebracht wirst. Wie du siehst, ist das wohl die Summe, um die es geht.«
Er lässt sich wieder zurückfallen, schiebt seine Hände in die Haare im Nacken.
»Du verdienst 1500 Euro. Im Monat?«
Er lässt einen leisen Pfiff hören und fängt an zu lachen (er provoziert mich nur). Die Brust und der Adamsapfel zucken wirklich genau wie bei einem, der sich nicht zurückhalten kann zu lachen (er provoziert mich nicht, er lacht tatsächlich).
»Wenn du mir einen bläst, gebe ich dir zweitausend. Das würde mir wirklich gefallen, von einer Polizistin einen geblasen zu kriegen.«
Ich drehe mich um, bleibe aber in der Tür stehen. Nein, das kann ich nicht so stehen lassen.
»Danke für das Angebot, aber das wäre das erste Mal, dass ich einer wandelnden Leiche einen blase. Und ehrlich gesagt finde ich diese Vorstellung eklig.«
Padre Jacopo bleibt vor der Tür mit der Nummer vier stehen und gibt mir ein Zeichen einzutreten.
»Dies hier waren die Zellen der Mönche. In denen dort sind immer noch Frate Jacques und die Seinen.«
Wir betreten eine Art Mini-Apartment, das aus drei Zimmern und einem kleinen Garten besteht. Es ist ungefähr doppelt so groß wie die Mansarde, in der ich wohne.
»Wir haben aus den Zellen der Laienbrüder Zimmer gemacht und diese hier alle in Werkstätten verwandelt«, sagt der Padre einigermaßen stolz.
Es stehen ein paar Staffeleien da, und auf den Tischen aus rohem Holz liegen massenweise Federn, Zeichenkohle und Stifte. Der fette Geruch ist der von Temperafarben. Auf großen, quadratischen grünen Blättern sind Abdrücke von blauen Händen und roten Füßen zu sehen, schiefe Sterne, gesäumt von goldenen Glitzersteinchen, Namen und Sätze in Französisch, Portugiesisch, Rumänisch.
Wir gehen in die nächste Zelle, und der Padre zeigt mir ein Mädchen, das mit Faden und Pinzette vor einem großen Setzkasten mit vielen Fächern steht. Jedes Fach ist gefüllt mit bunten Perlen, rocailles , vergoldeten und versilberten kleinen
Stiften. Padre Jacopo geht weiter in die nächste Zelle und lässt uns allein.
Ich trete näher, doch das Mädchen sieht mich kaum an. Gabriela ist hager und hat extrem lange und dünne Wimpern. Trotz des gekonnten Make-ups sieht man, dass sie noch keine achtzehn ist. Sie hat kupferrotes, glattes, frisch gewaschenes Haar und einen üppigen Busen, um den ich sie einen Augenblick lang beneide, bevor ich mir all die Hände ehrenwerter Männer vorstelle, die ihn schon betatscht haben, vielleicht während sie aus dem Auto raus in die Dunkelheit blickte, das Papiertaschentuch, um sich zu säubern, schon bereit.
»Bist du Giovannis Schwester?«
Mein Ja kommt kein bisschen spontan. Ich hoffe, sie hat es
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