Camorrista
kümmern.«
Keiner wendet etwas ein. Es ist, als hörten wir Gottvater, das lebendige Wort.
»Was ich sagen will: In welchem Gefängnis er auch immer landet, diese Narben sind allzu auffällige Zeichen. Also wird der Betreffende wie beschlossen unter Bewachung in eine Klinik gebracht. Er wird einer gesichtsplastischen Operation unterzogen und nach sieben oder höchstens zehn Tagen an eine Haftanstalt überstellt, wenn der zuständige Richter zu dem Schluss kommt, dass Gründe für eine Untersuchungshaft bestehen. Und egal was passiert, all dies unter dem Namen Giovanni Russo, und dann ohne diese Narben. Irgendwelche Fragen?«
Ich hätte ungefähr hundert, deshalb stelle ich gar keine. Mir würde sowieso nichts klarer. Reja behält mich mit festem und gleichzeitig besorgtem Blick im Auge.
»Wie Sie sehen, Inspektor, werden Sie auf keinen Fall übergangen. Und niemand schätzt Ihre Arbeit gering. Die Situation
des Betreffenden ist äußerst delikat. Doch auch dank Ihrer Kooperation geht alles bestens voran.«
(Wenn D’Intrò das sagt, möchte ich es fast glauben.) Morano hebt die Augenbrauen. Ich muss mich zwingen, es nicht zu tun.
Als wir rausgehen, kann ich Reja endlich von den Männern auf dem Hügel und den vom voyeuristischen Restaurantbesitzer mit Infrarot fotografierten Gespenstern erzählen. Er hört zu und nickt, schaut immer finsterer. Irgendwann bleibt er stehen und kratzt sich das spitze Kinn. Er teilt meine Sorge, umso besser. Er denkt darüber nach, mustert mich, ist dann kurz angebunden.
»Er kommt sowieso nicht nach Spaccavento zurück. Noch heute Abend bringen wir ihn weg.«
»Und wohin?«
»Das erfahren wir in zwei oder höchstens drei Stunden. Nutze die Zeit, um dich auszuruhen, denn dann sind wir bis nachts im Einsatz.«
Ich bin erschöpft, und Reja bemerkt es.
»Eine letzte Anstrengung, na los.«
Ich ziehe den Reißverschluss von Cocíss’ Sporttasche zu, in die ich bis auf zwei Tütchen Haarspülung all seine Sachen gepackt habe.
Zum letzten Mal schaue ich mir das verwüstete Zimmer an: An der Wand sind zwei blutige Streifen, zwischen dem Schrank und dem Fenster. Ich bin froh, diese Tür hinter mir zumachen zu können, ich schließe sie ab, drehe dreimal um. Schluss.
Ich gehe die Treppe runter und durch zwei Flure bis zum Zimmer von Padre Jacopo, ohne dass mich irgendjemand grüßt. Weder die Mitarbeiterin vom Typ alternative Lehrerin noch Gabriela, noch eine üppige Nigerianerin in einem blauvioletten Kleid. Sie gehen unbeirrt weiter, schlagen einen anderen Weg ein, wenden sich ab. Das ist nicht nur Gleichgültigkeit,
es ist eine Art ängstlicher Groll, bei dem ich mich unbehaglich fühle.
Für sie alle bin ich Cocíss’ Schwester.
Ich möchte stehen bleiben und irgendjemandem sagen, dass es nicht so ist, dass es nicht stimmt, dass es eine Komödie war. Eine schlechte Komödie mit einem schlimmen Ende. Dann sehe ich Padre Jacopo, und meine Finger fassen den Griff der Tasche fester.
Er versteht sofort, dass ich mit ihm unter vier Augen sprechen muss. Wir gehen in sein Büro, ich stelle die Tasche auf den Boden und werfe ihm die zwei Tütchen Haarspülung auf den Schreibtisch. Sein Tisch ist überhäuft mit Rechnungen, Kostenvoranschlägen, Fliesenprospekten, Elektrokatalogen und Angeboten landwirtschaftlicher Maschinen.
»Es tut mir leid«, fange ich an, »aber ich muss es Ihnen sagen. Hier drinnen funktioniert nicht alles so, wie es sollte.«
Ich weiß nicht, ob er nun mich oder die Tütchen argwöhnischer ansieht. Er nimmt seine Brille ab und untersucht eines davon näher.
»Da ist noch genug für ein paar Linien drin.«
Padre Jacopo schaut seinen weiß gefärbten Finger an, dann lässt er sich auf den Schreibtischsessel mit der von Isolierband gehaltenen Lehne fallen.
»Er hat es schon gehabt, als er herkam. Das ist die einzige Erklärung.«
»Unmöglich. Er kam aus dem Gefängnis.«
»Meinen Sie, das ist eine Garantie?«
»Sie können sicher sein, dass die Kollegen ihn von Kopf bis Fuß gründlich untersucht haben, bevor er hergebracht wurde.«
Er dreht sich zum Fenster.
»In den letzten zehn Jahren ist hier kein einziger Joint in Umlauf gewesen.«
»Ich sage nicht, dass es Ihre Schuld ist.«
Er steht auf, und sein Schreibtischsessel gibt ein stöhnendes Geräusch von sich.
»Aber ich sage, dass es eure Schuld ist. Das hier ist kein Ort für einen wie den, und das wusstet ihr. Ihr habt das Zentrum als Versteck benutzt. Aber so funktioniert das nicht.
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