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Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
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Dingen. Etwa damit, zum dritten Mal ein Alpenveilchen einzutopfen, das der Kater der Nachbarn während seiner nächtlichen Streifzüge regelmäßig umwirft. Oder aus dem Speicher des Handys die überflüssigsten und dümmsten Nachrichten von Antonello zu löschen; oder auch, die Kontoauszüge zu kontrollieren oder nachzusehen, wann ich die nächste Schießübung habe.
    Als ich aus dem Haus trete, fegt der Wind über die Ebene, zerrt an den Bäumen und beißt mir in den Augen. Vom Meer ziehen dicke rötliche Sturmwolken herüber. Sie kommen von dort, wo ich hinmuss. Fünf Uhr vierzig. Die passende Stimmung für meinen Abschied von Daniele Mastronero, genannt Cocíss.
    Beim Polizeirevier lasse ich das Auto irgendwo mitten auf
dem Parkplatz stehen und versuche Reja anzurufen. In dem schwarz umrandeten Schattenrechteck zwischen den roten Ziegeln erkenne ich Morano. Sein Gesicht ist vor schlechter Laune ganz blass, und er kann es nicht abwarten, nach Hause zu gehen. Dann schlägt das Fenster zu, und ein Lichtreflex lässt ihn verschwinden.
    »Ich stehe bei Florenz-Süd im Stau«, sind die ersten Worte, die ich von Reja höre, nach fünf oder sechs fehlgeschlagenen Versuchen, ihn zu erreichen.
    »Ja wieso? Es ist nur noch eine Stunde Zeit.«
    »Du fährst schon mal los.«
    »Was?«
    »Na komm schon. Wir treffen uns dann unterwegs.«
    »Und wer soll mit mir fahren? Salvo ist in Urlaub, und Morano …«
    »Morano? Bitte nicht der. Nein, nein, fahr du los.«
    »Ich? Allein mit diesem Typen?«
    »Aber ja. Er kennt dich inzwischen und ist sicher ganz entspannt.«
    Nein, das ist mir jetzt wirklich zu viel.
    »Sind wir denn verrückt geworden, Kollege?«
    »Wir sind nicht verrückt geworden. Es ist nur so, dass ich bei Florenz-Süd feststecke und es im Augenblick keine andere Lösung gibt. Ist das so schwer zu verstehen?«
    »Es ist ein unnötiges Risiko.«
    »Wir werden dieses Risiko eingehen.«
    Ich warte, bevor ich durch die Glastür gehe, weil man im Flur des Erdgeschosses manchmal keinen Empfang hat.
    »Ich rühre mich nicht vom Fleck.«
    »Im Gegenteil: Du steigst mit unserem Mann ins Auto und setzt dich in Bewegung. Los, es sind nur vierzig Kilometer.«
     
    Ich setze mich in Bewegung. Je eher ich losfahre, desto eher komme ich an (aber es ist nicht okay). Ich bekomme einen schwarzen Alfa, zu neu und deshalb zu auffällig, aber nichts zu machen.

    Bestien wie Cocíss wittern Anspannung. Meine, die von Morano und die Spannung, die in der Luft liegt, wenn wir gegen diesen Wind fahren.
    Morano wollte nichts hören und hat ihm Handfesseln aus Plastik angelegt. Cocíss hat es geschehen lassen. Er scheint wieder in einer gleichgültigen Phase, verbarrikadiert sich hinter seiner Sonnenbrille.
    Er hat sich mit den Händen zwischen den Beinen auf dem Sitz niedergelassen, und ich habe das Sweatshirt darübergelegt. Er riecht nach durchgeschwitzten Kleidern und fettigem Haar, das schwarze T-Shirt ist mit irgendwas besabbert. Auf dem Hals, gleich unter dem Kinn hat er ein paar Schürfwunden, die vielleicht desinfiziert werden müssten.
    »Er hat niemanden an sich rangelassen«, hat Morano kurz angebunden gesagt, »Und ich werde nicht dafür bezahlt, den Dompteur zu machen.« (Ich auch nicht, Kollege.)
    Als wir auf die Schnellstraße einbiegen, frage ich mich, ob er die Pistole in meiner Lederjacke bemerkt hat und ob ich nicht vielleicht besser daran täte, mit ihm zu reden. Nur um mich zu vergewissern, dass er am Leben ist, denn seit einer halben Stunde bewegt er sich nur, wenn ich in die Kurve gehe. In Wirklichkeit würde ich es nur tun, um mich ein bisschen zu entspannen.
    Richtung Küste bleibt der Verkehr in den Engpässen der Baustellen stecken. Vertreter, die mit Freisprecheinrichtung telefonieren, junge Mütter, die ihre Kinder von der Ballettschule zum Fußballplatz kutschieren. Zwei Nordafrikaner mit einem derart überladenen Station Wagon, dass die geschundene Stoßstange beinahe über den Asphalt kratzt. Ich schalte die Radiosender einmal durch. Cocíss lehnt den Kopf ans Fenster, und so kann ich wenigstens am Beschlagen der Scheibe erkennen, dass er atmet.
    Auch ich mag in weniger als einer Stunde wie irgendeine Frau aussehen, die am Ende eines Arbeitstages nach Hause oder zum Essen mit ihrem Freund fährt.

    »Reja, wo bist du?«
    »Lastra a Signa.«
    »Wieso das denn?«
    »Kolonnenfahren im Schritttempo. Und du?«
    »Ich bin hinter Pisa.«
    »Dann ist es ja bald geschafft.«
    Der Wind pfeift ins Mikrofon des Handys, und

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