Camorrista
ich muss schreien, weil Reja mich nicht gut hört. Über die Notausweichstelle fliegen Äste, Pommestüten und zusammengedrückte Flaschen.
Ich behalte das Fenster auf der Beifahrerseite fest im Blick, doch Cocíss scheint keine Lust zu haben, Scheiße zu bauen, jedenfalls heute Abend nicht. Wir verabschieden uns mit einem Minimum an Anstand.
»Hast du verstanden, wo die Colletti-Werft ist?«
Ich habe das sehr gut verstanden, doch das Programm ist dreimal geändert worden, und ich hoffe, es ist das letzte Mal. Er sagt mir noch einmal das Kennzeichen des Schlauchboots. Cocíss soll mit einem Hubschrauber der Fallschirmjäger nach Slowenien gebracht werden, die Kaserne liegt auf der anderen Seite des Flusses, knapp zwei Kilometer von hier, Richtung Stadt.
Ich steige wieder ein und merke plötzlich, wie verbraucht die Luft ist. Wir fahren ungefähr zehn Kilometer mit geöffnetem Fenster auf meiner Seite, doch nicht einmal das weckt Cocíss auf. Besser so. Ich halte an einer geschlossenen Tankstelle an. Im Auto gibt es ein Funksprechgerät, aber ich kann es nicht benutzen, weil Cocíss nicht hören darf, was ich sage.
Ich steige erneut aus, schließe das Auto mit Zentralverriegelung ab und erkundige mich nach dem Gepäck von Cocíss.
Ein gewisser Carracci versichert mir, es sei abgeholt worden und schon in der Kaserne. Es ist sechs Uhr zweiundfünfzig, und die kleine Schiffswerft am Arno ist weniger als einen Kilometer entfernt (jetzt ist es geschafft, Reja hat recht).
Auf dem baumgesäumten Weg verschwindet das Sonnenlicht schnell, der lehmfarbene Fluss scheint rückwärts zu fließen. Wir sind sehr nah an der Mündung, und die Strömung vom Meer treibt das Gerippe eines Baums zurück, eine alte Plane, Bojen und Schwimmkörper. Cocíss rutscht auf seinem Sitz herum, und weil ich versuche, seine Hände unter dem Sweatshirt im Auge zu behalten, fahre ich fast auf das Auto vor mir drauf.
Man erkennt die Werft an einem Holzschild mit einer kleinen dreieckigen weiß-roten Fahne. Das Schiebegittertor steht offen, doch ich halte kurz davor an, vor einer Platane, an die man einen Blumenstrauß und eine durchsichtige Plastiktüte voller Kärtchen gebunden hat.
Ich mache den Motor aus, und wie jeder, der während der Fahrt geschlafen hat, wird Cocíss sofort wach. Er sieht nach draußen.
»Was hab ich da um die Handgelenke?«, murmelt er.
»Sieh zu, dass du wach wirst, los.«
Auf dem Kai neben dem Kran sind sie zu zweit oder dritt. Gegen den blendenden Horizont sehen ihre schwarzen Gestalten wie Kohlen im lodernden Feuer aus. Da ist noch einer, im Schlauchboot, achtern, neben dem Außenbordmotor. Im Gegenlicht kann ich es nicht lesen, das Kennzeichen (besser warten).
»Wo, verdammt, sind wir?«
»Du wolltest doch mit D’Intrò sprechen.«
»Und wo ist D’Intrò?«
»Sie bringen dich jetzt zu ihm.«
(Und wieso nicht, du wirst schon sehen.) Vor die Sonne schiebt sich eine Wolke, so veilchenfarben wie Cocíss’ geschwollener Arm, und endlich kann ich die Zahlen auf der Seitenwand lesen. Sie stimmen.
»Schaffst du es, dich auf den Beinen zu halten, oder nicht?«
» Scheißdrecksbullen . Ich sag’s dem Dottor D’Intrò, wie ihr mich behandelt habt.«
»Sag es ihm ruhig. Aber jetzt müssen wir aussteigen. Sie warten auf dich. Schaffst du das?«
»Ich will eine Zigarette.«
Die drei Männer pumpen Wasser aus dem Schlauchboot. »Fragen wir die doch nach einer.«
Aus dem Gummischlauch spritzt es wie eine Fontäne. »Und was für Typen sind das, verdammt?«
Ich antworte ihm nicht. Ich weiß es nicht, und wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich nicht einmal, wie sie es angestellt haben, so viel Wasser ins Boot zu bekommen.
»Mach mir die bekackten Handschellen ab.«
»Sie machen sie dir ab, wenn du im Schlauchboot bist.«
»Nein, das machst du. Sofort. Sonst steige ich nicht aus.«
»Sie machen sie dir ab, habe ich gesagt.«
Er wirft sich mit der Schulter gegen die Tür, lässt dann das Fenster runter und versucht die Plastikbänder mit der Glaskante durchzuschneiden.
Als mein Handy klingelt, melde ich mich, ohne aufs Display zu sehen, denn ich muss Cocíss und auch die Männer im Schlauchboot im Auge behalten.
Die Kollegin vom Revier fragt mich, ob ich etwas über eine Sporttasche weiß, die im Raum mit den Spinden steht.
Ich springe aus dem Auto, und ein Lastwagen rast in einem halben Meter Entfernung an mir vorbei, wirbelt einen Schwung groben Sand auf. Ich schließe die Augen und lasse mir die Tasche
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