Camorrista
nicht zu lange hinzuziehen.
»Okay, und wenn ich dir vertraue?«
»Wenn du mir vertraust, schließen wir ein Abkommen, du und ich.«
»Ein Abkommen?«
Er nickt, seine Lippen kleben an der Dose. In einem plötzlichen Anfall von Höflichkeit gibt er mir auch eine. Ich vermute, er muss mich, koste es, was es wolle, von seinen guten Absichten überzeugen. Er hat schon so etwas wie Ausstrahlung, das kann man nicht bestreiten. Es wundert mich nicht, dass er so schnell der Boss einer Bande von Jungs geworden ist, die von Fläschchen abhängig sind.
»Und was für ein Abkommen möchtest du schließen? Lass hören.«
»Es gibt einen, den ihr fassen wollt. Aber ihr wisst nicht mal, wo der ist.«
»Da gibt es mehr als einen.«
»Nein, ich spreche von einem großen Namen. Wirklich groß. Verstehst du?«
»Red mal Klartext.«
Dunkelheit umgibt uns, und es scheint, dass das bloße Aussprechen eines Namens (jenes Namens) unberechenbare Dämonen heraufbeschwören könnte. Auch für Cocíss.
»Einer, von dem ihr nicht mal wisst, was für ein Gesicht er hat. Hast du jetzt verstanden?«
Verstanden habe ich schon, aber ob ich es glauben soll, weiß ich nicht. Er hat den Mund wirklich voll genommen, sage ich mir. Ein achtzehnjähriger Capozona, der von dem Mann ohne Gesicht spricht, der nicht zu fassen ist. Von Saro Incantalupo. Ich habe keinen Grund, ihm zu glauben, doch auch ich vermeide es, diesen Namen auszusprechen, weil es
wie ein Fluch in der Kirche wäre, ein Mangel an Respekt. Es würde bedeuten, den Mythos nicht mit dem ernormen Tabu zu belegen, wie er es tut.
Saro Incantalupo, das ist ein Reich. Das Reich des Eises nennt D’Intrò es in manchen Ermittlungsberichten. Denn es ist ein riesiges Reich, still und immer in Bewegung, wie ein Eisberg. Und wie bei einem Eisberg gelingt es uns immer nur, einen winzigen Teil davon zu sehen. Wie ein Eisberg löst es sich nach Süden hin auf und verflüssigt sich. Dann verdunstet es und verflüchtigt sich, um sich sehr viel weiter im Norden makellos zu rematerialisieren. Ein Denker, dieser D’Intrò.
»Ich rede mit dir, hast du verstanden?«
»Und wie kommt es, dass du weißt …«
Er unterbricht mich.
»Willst du ihn finden? Ich bringe dich auf die richtige Spur.«
»Ich bin nicht in der Fahndungsabteilung.«
Er unterbricht mich noch einmal, hebt einen Finger. Seine Augenbrauen ziehen sich ruckartig zusammen und die Narben unter seinen Augen werden runzlig.
»Interessiert es dich oder nicht? Dich frage ich, verstehst du?«
»Es interessiert mich, aber mit mir kannst du es nicht machen.«
»Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass ich nicht nach meinem eigenen Kopf entscheiden kann. Ich habe Kollegen, Vorgesetzte. Denk nur mal an Dottor D’Intrò. Mit ihm hast du geredet, hast dich gut dabei gefühlt, er ist in Ordnung, hast du mir selbst gesagt.«
»Aber der Dottor D’Intrò darf denen nicht glauben, diesen elenden Arschlöchern. Sonst hat er nichts verstanden.«
»Und du, du hattest doch auch einen Boss oder nicht?«
»Ich? Nein. Ich stand unter den Incantalupo, aber ich musste nur das Geld aus den Geschäften abliefern, und ansonsten habe ich gemacht, was ich wollte. Mir hat nie einer Befehle gegeben.«
Vielleicht ist auch das nur eine weitere Lüge, vielleicht Ausdruck seines Größenwahns. Er hat beinahe ein paar Zähne verloren, spuckt dauernd Blut und kann nichts mehr riechen, aber dieser Typ hält sich weiter für unbesiegbar. Meint, dass er Abmachungen vorschlagen und auch noch Konditionen diktieren kann. Ich beschließe, dass es sich auf jeden Fall für mich lohnt, ihn anzuhören. Für den Moment.
»Wenn du eine Abmachung schließen willst, musst du mit D’Intrò sprechen.«
»Ich will nicht mit ihm sprechen. Ich will nicht, dass irgendjemand weiß, wo ich bin, verstehst du? Du und sonst keiner. Du gehst zu ihm und sagst ihm nur, dass wir diese Abmachung haben und dass er sich ruhig verhalten soll, bis alles vorbei ist.«
»Was meinst du mit ›alles vorbei‹?«
»Ich meine damit, dass ich dich zu dieser gewissen Person bringe, du weißt schon, welche. Dass ihr mir Geld gebt und ich dann verschwinde. Ich gehe nach Amerika, und keiner sieht mich je wieder.«
»Ist es nicht einfacher, wenn du uns die Informationen einfach gibst?«
Er setzt ein Lächeln auf, das wie die leichte, giftige Berührung einer Qualle ist.
»Ich sage nichts mehr! Du hast ja gesehen, wie sie es mir gedankt haben! Ein Scheißdrecksschutz , und dann glauben sie gleich
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