Camorrista
Weltmeisterschaft, verstehst du, da wollen alle die neuen mit Flachbildschirm«, erklärt er mir und setzt sich an den Tisch. »Da hat ein cleverer Typ einen Lastwagen genommen, ist die ganze Stadt abgefahren, um sie aufzuladen, bevor sie sich die Marokkaner und die Leute da holen. Dann hat er einen gefunden, der sie für fünfzig Euro das Stück nach Rumänien geschafft hat. Zwei- oder dreitausend hat er in einer Woche rübergeschickt. Nicht schlecht, was?«
Ich stelle eine Taschenlampe auf den kleinen Tisch, Kopf nach oben, und setze mich ebenfalls. Die furchtbare Küche füllt sich gleich mit übergroßen Schatten.
Er macht den Karton auf und bricht sich ein Stück Pizza ab. Sieht mich nur einen Augenblick an, klappt es dann zusammen und beißt rein, zieht den Mozzarella in Fäden heraus.
Ich wünschte, ich könnte meine Müdigkeit zulassen, aber ich kann es nicht, beobachte ihn weiter, während er mit offenem Mund kaut. Auf dem Diensthandy habe ich keine Anrufe,
es hat auch niemand eine Nachricht hinterlassen. Reja schweigt: Ich kann es mir nicht erklären, aber im Augenblick rufe ich ganz gewiss nicht an. Denn im Augenblick habe ich keinen Plan und versuche mich abzulenken.
Mit dem Fernseher lassen sich drei oder vier Kanäle, darunter ein lokaler, ganz ordentlich empfangen. Ich bleibe bei einer abendlichen Nachrichtensendung hängen, lenke mich ein paar Minuten mit dem Krieg im Irak und dem verrückt gewordenen Klima ab. Cocíss scheint davon kein bisschen betroffen. Dann tauchen aus dem Bildschirmschnee vertraute Bilder auf. Ein Mädchen in rosa Tüll bei seiner ersten Tanzvorführung. Ein anderes, das eine getigerte Katze auf dem Arm hat.
»Schau mal, sie reden über die beiden Mädchen. Wie stellt man lauter?«
»War keine Fernbedienung dabei.«
Er reißt die Bierdose mit einer Hand auf, ohne deshalb aufzuhören, die Pizza in sich reinzustopfen.
»Hast du verstanden, über wen sie reden?«, frage ich ihn (und frage ich mich).
»Na klar, über Nunzia und Caterina, die beiden kleinen Mädchen vom Corso Due Sicilie. Ich wollte sogar zur Beerdigung, wollte ich echt, aber dann konnte ich nicht, war nicht angesagt.«
Ich finde den Lautstärkeregler an der Seite, es fängt an, heftig zu rauschen, doch man kann die Worte verstehen.
»Aber ich sag dir, wir haben alle zusammen einen Kranz gemacht, in unserem Block, riesig, aus weißen Blumen.«
»Sei mal still …«
Endlich hat er einen Namen, der Mörder von Nunzia Matello und Caterina Di Domenico, die vor zwei Wochen bei dem Anschlag auf Riccardo Capuano, einem führenden Mitglied des Clans der Scurante, getötet wurden …
Zum x-ten Mal werden die Bilder der Beerdigung gezeigt. Die beiden Mütter, die über den weißen Särgen zusammenbrechen.
Die Kirche, in der die Schreie widerhallen. Der Hagel aus Steinen, Flaschen und Müll, der auf die Kollegen, die Carabinieri, den Bürgermeister und einen Staatssekretär niedergeht. Gegen jeden, der versucht, an einer Trauer teilzuhaben, die nicht teilbar ist; es ist keine Last, die man teilen kann, es ist eine Seuche, die sich verbreitet und immer schlimmer wird. Ein Schmerz, der sich selbst rechtfertigt und noch mehr Schmerz hervorbringt. Mehr Tote. Mehr Resignation. Mehr Worte, die sich im langen Dröhnen in Kirchenschiffen verlieren.
Mörderische Waffen in den Händen unerfahrener Jugendlicher, losgeschickt, um zu töten, oft unter dem Einfluss von Drogen: Dorthin führt der skrupellose Zynismus der Clans, der ungezügelte und absurde Gewalttaten wie das Blutbad vom Corso Due Sicilie zur Folge hat. Die Ermittler haben keinen Zweifel: Es ist ein sehr junger Mann, der am 28. April geschossen hat …
Ich schaue ihn an, dann drehe ich mich um und sehe erneut sein Gesicht.
Auf dem Bildschirm.
Die Augen von der Farbe einer Gasflamme, die Wangenknochen vorspringend und abgerundet wie Schwellungen ohne blaue Flecken.
Und jetzt beginnt die Jagd auf ihn: Daniele Mastronero, gerade volljährig geworden, in seinen Kreisen als Cocíss bekannt, wird durch einige übereinstimmende Zeugenaussagen schwer belastet. Seine Festnahme könnte eine Frage von Stunden sein. Natürlich werden die Mädchen dadurch nicht wieder lebendig, aber es ist doch ein Signal unverzichtbarer Hoffnung für diese gemarterte Stadt.
Ich sehe Nunzias Vater, der weint und Gerechtigkeit fordert. Er hat ein rundes Gesicht, so narbig und rot wie eine überreife Orange. Auf der Straße rückt der eine oder andere, teils auch mit einer gewissen
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