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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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ausschließlich durch sein Verhalten bestimmt. Er ist das Symbol dieser verzweifelnden Welt, wo unglückliche Automaten in der maschinenmäßigsten Folgerichtigkeit leben, und den die amerikanischen Schriftsteller der modernen Welt gegenüber herausstellten als einen ergreifenden, doch nutzlosen Protest.
    Was Proust angeht, so war sein Bestreben, von der beharrlich beobachteten Wirklichkeit ausgehend, eine geschlossene, unersetzliche Welt zu schaffen, die nur ihm gehören und seinen Sieg bezeichnen würde über die Flucht der Dinge und den Tod. Aber seine Mittel sind völlig andere. Sie bestehen vor allem in einer bedachten Auswahl, einer sorgfältigsten Sammlung bevorzugter Augenblicke, die der Romancier aus seiner geheimsten Vergangenheit heraussucht. Unermessliche tote Räume werden so vom Leben abgeschüttelt, weil sie in der Erinnerung nichts zurücklassen. Wenn die Welt des amerikanischen Romans die der Menschen ohne Gedächtnis ist, so ist diejenige von Proust nichts anderes als ein Gedächtnis. Es handelt sich freilich um das schwierigste und anspruchsvollste Gedächtnis, das die Zerstreuung der Welt, wie sie ist, von sich weist und aus einem wiedergefundenen Parfüm das Geheimnis einer neuen und alten Welt zieht. Proust entscheidet sich für das Innenleben und im Innenleben für das, was noch innerlicher ist als dieses; er entscheidet sich gegen das, was innerhalb der Wirklichkeit vergessen wird, d. h. das Maschinenmäßige,die blinde Welt. Aber aus dieser Ablehnung der Welt leitet er nicht ihre Verneinung ab. Er begeht nicht den Irrtum, der zum amerikanischen Roman symmetrisch wäre, das Maschinenhafte zu unterdrücken. Er vereinigt im Gegenteil in einer höheren Einheit die Erinnerung an das Verlorene und die gegenwärtige Empfindung, den verstauchten Fuß und die glücklichen Tage von einst.
    Es ist schwierig, zu den Stätten des Glücks und der Kindheit zurückzukehren. Die jungen Mädchen in ihrer Blüte lachen und schwatzen ewig vor dem Meer, doch ihr Betrachter verliert nach und nach das Recht, sie zu lieben, so wie die, die er geliebt hat, die Macht verlieren, geliebt zu werden. Das ist Prousts Melancholie. Sie war stark genug, aus ihm eine Ablehnung des ganzen Seins hervorbrechen zu lassen. Aber seine Lust an Gesichtern und am Licht band ihn gleichzeitig an diese Welt. Er war nie bereit, die glücklichen Ferien für immer verlorenzugeben. Er nahm es auf sich, sie wiederzuerschaffen und gegen den Tod zu beweisen, dass die Vergangenheit sich am Ende der Zeit in einer unvergänglichen Gegenwart wiederfindet, wahrer und reicher noch als am Anfang. Die psychologische Analyse der ‹Verlorenen Zeit› ist dann nur ein mächtiges Mittel. Prousts wirkliche Größe liegt darin, die ‹Wiedergefundene Zeit› geschrieben zu haben, die eine verstreute Welt sammelt und ihr gerade auf der Ebene der Zerrissenheit eine Bedeutung gibt. Es ist sein schwieriger Sieg, am Vorabend des Todes, der unausgesetzten Flucht der Formen allein durch die Erinnerung und den Geist die zitternden Symbole der menschlichen Einheit entrissen zu haben. Die sicherste Herausforderung eines Werks dieser Art an die Natur besteht darin, sich als ein Ganzes, eine geschlossene und geeinte Welt darzustellen. Das ist das Merkmal der Werke ohne Reue.
    Man konnte sagen, die Welt Prousts sei eine Welt ohneGott. Wenn das zutrifft, so nicht deshalb, weil man darin nie von Gott spricht, sondern weil diese Welt den Ehrgeiz hat, von runder Vollkommenheit zu sein und der Ewigkeit das Gesicht des Menschen zu geben. Die ‹Wiedergefundene Zeit› ist wenigstens seiner Absicht nach die Ewigkeit ohne Gott. Prousts Werk erscheint in dieser Hinsicht als eines der maßlosesten und bedeutsamsten Unternehmen des Menschen gegen sein sterbliches Geschick. Er bewies, dass die Kunst des Romans die Schöpfung selbst, wie sie uns auferlegt ist und zurückgewiesen wird, wiederholt. Wenigstens unter einem ihrer Aspekte besteht diese Kunst in der Entscheidung des Geschöpfs gegen seinen Schöpfer. Aber in noch größerer Tiefe verbindet es sich mit der Schönheit der Welt oder der Wesen gegen die Mächte des Todes und des Vergessens. Auf diese Weise ist ihre Revolte schöpferisch.

    Revolte und Stil

    Durch die Behandlung, die der Künstler der Wirklichkeit aufzwingt, behauptet er seine Kraft der Ablehnung. Doch was er von ihr in seiner erschaffenen Welt bewahrt, deckt die Zustimmung auf, die er mindestens für einen Teil des Wirklichen hegt, den er aus dem Schatten des

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