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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Lebens niemals gibt, die man aber auf den Wegen der Träumerei findet, ausgehend von der Wirklichkeit. Wenn Gobineau nach Wilna gegangen wäre, hätte er sich dort gelangweilt und wäre zurückgekommen, oder er hätte dort sein Behagen gefunden. Kasimir jedoch kennt nicht die Lust des Wechsels und die Morgen der Heilung. Er geht bis ans Ende, wie Heathcliff, der noch über den Tod hinaus will, um bis zur Hölle zu gelangen.
    Wir haben hier also eine Welt der Einbildung vor uns, geschaffen durch die Korrektur der unsrigen, eine Welt, in der Schmerz wenn er will, bis zum Tod dauern kann, in der die Leidenschaften niemals abgelenkt werden, in der die Weseneinander immer gegenwärtig sind. Der Mensch gibt sich hier schließlich selbst die Form und die beruhigende Grenze, die er vergeblich in seinem Leben verfolgt. Der Roman fertigt Schicksal nach Maß an. So macht er der Schöpfung Konkurrenz und triumphiert vorübergehend über den Tod. Eine eingehende Analyse der berühmtesten Romane würde in jedes Mal verschiedener Perspektive zeigen, dass das Wesen des Romans in dieser unaufhörlichen Korrektur besteht, immer in gleicher Richtung verlaufend, und die der Künstler nach seiner eigenen Erfahrung vornimmt. Weit entfernt davon, moralisch oder rein formal zu sein, zielt diese Korrektur zuerst auf die Einheit und drückt damit ein metaphysisches Bedürfnis aus. Auf dieser Stufe ist der Roman zunächst eine Geistesübung im Dienste einer sehnsuchtsvollen oder revoltierten Fühlweise. Man könnte diese Suche nach der Einheit im französischen Roman und bei Melville, Dostojewski oder Tolstoi untersuchen. Doch eine kurze Gegenüberstellung zweier völlig entgegengesetzter Bestrebungen des Romans: der Schöpfung Prousts und des amerikanischen Romans, wird hier genügen.
    Der amerikanische Roman 104 sucht seine Einheit dadurch zu finden, dass er den Menschen reduziert, sei es aufs Elementare, sei es auf seine äußerlichen Reaktionen und auf sein Verhalten. Er wählt nicht ein Gefühl oder eine Leidenschaft, von der er ein bevorzugtes Bild gibt, wie in unseren klassischen Romanen. Er lehnt die Analyse ab, die Suche nach der grundlegenden seelischen Triebfeder, die das Verhalten der Personen erklärte und zusammenfasste. Aus diesem Grund ist die Einheit dieses Romans nur eine Einheit der Beleuchtung.Seine Technik besteht in der Beschreibung des Menschen von außen, durch ihre unbedeutendsten Gesten, in der kommentarlosen Anführung ihrer Gespräche bis in alle Wiederholungen hinein 105 und in der Darstellung der Menschen, als ließen sie sich voll und ganz durch ihre täglichen Automatismen bestimmen. Auf dieser maschinenmäßigen Ebene gleichen sich die Menschen tatsächlich, und so erklärt sich diese sonderbare Welt, in der alle Gestalten auswechselbar scheinen, selbst in ihren physischen Eigentümlichkeiten. Nur aus einem Missverständnis nennt man diese Technik realistisch. Abgesehen davon, dass in der Kunst der Realismus, wie wir sehen werden, ein unverständlicher Begriff ist, ist es offensichtlich, dass diese Romanwelt nicht auf die einfache Wiedergabe der Wirklichkeit abzielt, sondern auf ihre willkürlichste Stilisierung. Sie entsteht aus einer Verstümmelung, einer absichtlichen Verstümmelung der Wirklichkeit. Die so erlangte Einheit ist eine erniedrigte Einheit, eine Nivellierung der Menschen und der Welt. Für diese Romanciers scheint das Innenleben die menschlichen Handlungen ihrer Einheit zu berauben und die Wesen einander zu entreißen. Dieser Verdacht ist zum Teil gerechtfertigt. Doch die Revolte, die dieser Kunst zugrunde liegt, findet ihr Genügen nur in der Herstellung der Einheit, ausgehend von dieser inneren Wirklichkeit und nicht von ihrer Leugnung. Sie völlig leugnen heißt sich auf einen imaginären Menschen beziehen. Der schwarze Roman ist auch ein rosenmilder, von ihm hat er seinen formalen Anspruch. Er erbaut auf seine Weise. 106 Das Leben der Körper, auf sich selbst eingeschränkt, erzeugtparadoxerweise eine abstrakte und grundlose Welt, die wiederum beständig von der Wirklichkeit verneint wird. Dieser vom Innenleben gesäuberte Roman, in dem die Menschen wie hinter Glas beobachtet scheinen, endet logischerweise damit, dass er als einzigen Gegenstand den angeblichen Normalmenschen kennt und das Pathologische vorführt. So versteht man die beträchtliche Zahl von ‹Unschuldigen›, die in dieser Welt vorkommen. Der Unschuldige ist der ideale Gegenstand eines solchen Unternehmens, denn er wird

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