Camus, Albert
Nie haben die Griechen, und das setzt uns im Hinblick auf sie herab, aus dem Denken ein abgegrenztes Feld gemacht. Die Revolte lässt sich letzten Endes nur gegen jemanden gerichtet denken. Der Begriff des persönlichen Gottes, Schöpfers aller Dinge und damit für sie verantwortlich, gibt allein dem Protest des Menschen seinen Sinn. Man kann daher ohne Paradox sagen, dass, in der westlichen Welt, die Geschichte der Revolte untrennbar ist von derjenigen des Christentums. Man muss in der Tat die letzten Augenblicke antiken Denkens abwarten, um zu sehen, wie die Revolte ihre Sprache zu finden beginnt, bei den Denkern des Übergangs und bei niemandem tiefer als bei Epikur und Lukrez.
Die erschütternde Trauer Epikurs lässt schon einen neuen Ton erklingen. Sie ist zweifellos von einer Angst vor dem Tod eingegeben, welche dem griechischen Geist nicht fremd ist.Aber der pathetische Akzent dieser Angst ist aufschlussreich. «Man kann sich gegen alles sichern, doch was den Tod betrifft, bleiben wir wie die Bewohner einer geschleiften Festung.» Lukrez präzisiert: «Die Substanz dieser weiten Welt ist dem Tod und dem Untergang vorbehalten.» Weshalb also den Genuss auf später verschieben? «Mit Warten», sagt Epikur, «zehren wir unser Leben auf, und wir arbeiten uns alle zu Tode.» Also muss man sich dem Genuss ergeben. Doch welch befremdlicher Genuss! Er besteht darin, die Fenster der Festung zuzumauern, sich des Brotes und des Wassers im stillen Schatten zu versichern. Da der Tod uns bedroht, muss man beweisen, dass der Tod nichts ist. Wie Epiktet und Marc Aurel vertreibt auch Epikur den Tod aus dem Sein. «Der Tod ist nichts in Bezug auf uns, denn was aufgelöst ist, ist unfähig zu empfinden, und was nicht empfindet, ist nichts für uns.» Ist es das Nichts? Nein, denn alles ist Materie in dieser Welt, und Sterben heißt nur, zum Urstoff zurückkehren. Das Sein ist der Stein. Die einzigartige Wollust, von der Epikur spricht, besteht vor allem in der Abwesenheit von Schmerz; das ist das Glück der Steine. Um dem Schicksal zu entgehen, tötet Epikur, mit einer herrlichen Bewegung, die wir bei unseren Klassikern wiederfinden, die Sensibilität und zuvörderst den ersten Schrei der Sensibilität: die Hoffnung. Was der griechische Philosoph von den Göttern sagt, heißt nichts anderes. Alles Unglück der Menschen stammt von der Hoffnung, die sie dem Schweigen der Festung entreißt und sie auf die Wälle treibt in Erwartung des Heils. Diese unvernünftige Bewegung hat keine andere Wirkung, als sorgfältig verbundene Wunden neu zu öffnen. Deshalb leugnet Epikur die Götter nicht, er entfernt sie so schwindelnd weit, dass die Seele keinen anderen Ausweg hat, als sich aufs Neue einzumauern. «Das glückselige und unsterbliche Wesen hat nichts zu tun und gibt niemandem etwas zu tun.» Und Lukrez,noch verstärkend: «Unbestreitbar genießen die Götter, ihrer Natur zufolge, Unsterblichkeit inmitten tiefsten Friedens, fremd unseren Geschäften, an denen sie ohne Teilnahme sind.» Vergessen wir also die Götter, denken wir nie an sie, und «weder eure Gedanken bei Tag noch eure Träume bei Nacht werden euch Unruhe verursachen».
Man wird später, aber mit wichtigen Nuancen, dieses ewige Thema der Revolte wiederfinden. Ein Gott ohne Belohnung noch Züchtigung, ein tauber Gott ist die einzige religiöse Vorstellung der Revoltierenden. Während Vigny jedoch das Schweigen der Gottheit verflucht, urteilt Epikur, dass, da man sterben muss, das Schweigen des Menschen dieses Geschick besser vorbereitet als die Worte der Götter. Die lange Bemühung dieses seltsamen Geistes erschöpft sich darin, um den Menschen eine Mauer zu errichten, die Festung neu zu panzern und ohne Gnade den ununterdrückbaren Schrei der menschlichen Hoffnung zu ersticken. Ist dieser strategische Rückzug einmal abgeschlossen, dann erst wird Epikur, gleich einem Gott inmitten der Menschen, das Siegeslied anstimmen, das den defensiven Charakter seiner Revolte gut ausdrückt. «Ich habe deine Schliche durchkreuzt, o Schicksal, ich habe alle Wege verrammelt, auf denen du mich erreichen konntest. Wir lassen uns weder von dir noch einer andern bösen Macht besiegen. Und wenn die Stunde des unvermeidlichen Aufbruchs geschlagen hat, wird unsere Verachtung für die, welche sich vergeblich ans Dasein klammern, in die schönen Worte ausbrechen: Ah, wie würdig haben wir gelebt!»
Lukrez, als Einziger in seiner Zeit, wird diesen Gedanken weiterführen und ihn in die
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