Camus, Albert
waren wie Brandwunden einer schrecklichen Sinnenlust. Sie waren nicht diese monotone Ordensregel, von einer dürftigen Logik aufgestellt, in deren Augen alles gleichförmig wird. Diese Logik hat die Werte des Selbstmords, mit denen sich unsere Zeit genährt, bis zur letzten Konsequenz getrieben: der Legitimierung des Mordes. Gleichzeitig gipfelt sie im kollektiven Selbstmord. Den schlagendsten Beweis lieferte Hitlers Apokalypse 1945. Sich selbst zu vernichten war nichts für die Verrückten, die in Erdlöchern sich einen Tod wie eine Apotheose zurechtmachten. Die Hauptsache war, sich nicht allein zu vernichten, sondern eine ganze Welt mit sich ins Verderben zu ziehen. In gewisser Weise bewahrt der Mensch, der sich in der Einsamkeit umbringt, noch einen Wert, denn scheinbar maßt er sich kein Recht über das Leben anderer an. Zum Beweis dafür gebraucht er nie, um den andern zu beherrschen, die schreckliche Macht und die Freiheit, welche sein Entschluss zu sterben ihm gibt. Jeder einsame Selbstmord, erfolgt er nicht aus Ressentiment, ist in gewisser Hinsicht hochherzig oder verachtungsvoll. Doch man verachtet im Namen von etwas. Wenn die Welt dem Selbstmord gegenüber gleichgültig ist, so weil sie eine Ahnung davon hat, was ihr nicht gleichgültig ist oder sein könnte. Man glaubt, mit sich alles zu zerstören oder fortzunehmen, aber selbst dieser Tod gebiert einen Wert, der vielleicht zu leben gelohnt hätte. Die absolute Verneinung ist also nicht ausgeschöpft durch den Selbstmord. Sie kann es nur sein durch die absolute Vernichtung unserer selbst und der andern. Man kann sie nicht leben, oder zum mindesten nur dann, wenn man dieser angenehmen Grenze zustrebt. Selbstmord und Mord sind hier zwei Seiten eines gleichen Ordens, desjenigen einer unglücklichen Intelligenz, die dem Leiden an einem beschränkten Lebensstand dieschwarze Schwärmerei vorzieht, in der Himmel und Erde zugrunde gehen.
Wenn man dem Selbstmord seine Gründe abspricht, ist es gleicherweise unmöglich, dem Mord solche zuzusprechen. Es gibt keinen halben Nihilisten. Die absurde Überlegung kann nicht das Leben dessen bewahren, der spricht, und zugleich die Opferung der andern dulden. Vom Augenblick an, da man die Unmöglichkeit der absoluten Verneinung anerkennt, und Leben auf irgendeine Weise kommt dieser Anerkennung gleich, ist das Erste, was sich nicht leugnen lässt, das Leben des andern. So raubt der gleiche Begriff, der uns glauben ließ, der Mord sei gleichgültig, ihm seine Rechtfertigungen; wir fallen in die Illegitimität zurück, aus der wir uns zu befreien suchten. Praktisch überzeugt uns dieser Gedanke zu gleicher Zeit, dass man töten kann und dass man es nicht kann. Er lässt uns im Widerspruch zurück, ohne etwas, das den Mord verhindern oder legitimieren könnte, uns, die Bedrohenden und Bedrohten, preisgegeben einer Epoche voll nihilistischen Fiebers und dennoch voller Einsamkeit bewaffnet und dennoch beklommen.
Aber dieser wesentliche Widerspruch kann nicht verfehlen, sich mit einem Haufen anderer einzustellen, sobald man danach trachtet, im Absurden zu verharren, damit dessen wahren Charakter verkennend, der nichts anderes ist als ein gelebter Durchgang, ein Ausgangspunkt, die Entsprechung, auf dem Feld der Existenz, von Descartes’ methodischem Zweifel. Das Absurde in sich selbst ist Widerspruch.
Es ist ein Widerspruch seinem Inhalt nach, denn es schließt die Werturteile aus und will dennoch das Leben aufrechterhalten, wo doch Leben an sich schon ein Werturteil ist. Atmen heißt urteilen. Es ist vielleicht falsch zu sagen, das Leben sei eine unaufhörliche Wahl. Aber es ist richtig, dassman sich kein Leben vorstellen kann, das jeglicher Wahl beraubt ist. Von diesem einfachen Gesichtspunkt aus erscheint der absurde Standpunkt beim Handeln unvorstellbar. Er ist unvorstellbar auch in seinem Ausdruck. Jede Philosophie der Nicht-Bedeutung ruht auf dem Widerspruch gerade der Tatsache, die sie ausspricht. Sie verleiht damit ein Minimum von Zusammenhang dem Unzusammenhängenden, sie bringt Konsequenz in das, was, ihrer Überzeugung gemäß, keine hat. Reden renkt wieder ein. Die einzige widerspruchslose Haltung, gründend auf der Bedeutungsleugnung, wäre das Schweigen, wenn es nicht seinerseits etwas bedeutete. Die vollkommene Absurdheit versucht stumm zu sein. Wenn sie spricht, so deshalb, weil sie sich darin gefällt oder, wie wir sehen werden, weil sie sich für provisorisch hält. Diese Selbstachtung, diese
Weitere Kostenlose Bücher