Camus, Albert
Menschen, auch seinen Unterdrückern und Beleidigern, eine Gemeinschaft bereitet ist 4 .
Zwei Beobachtungen stützen diesen Gedanken. Zunächst wird man festhalten, dass die Bewegung der Revolte ihrem Wesen nach nicht egoistisch ist. Sie kann ohne Zweifel eine egoistische Voraussetzung haben. Aber man wird sich ebenso gegen die Lüge auflehnen wie gegen die Unterdrückung. Außerdem hält der Revoltierende, ausgehend von dieser Voraussetzung und im Schwung aus aller seiner Tiefe, nichts für sich zurück, da er ja alles aufs Spiel setzt. Er fordert zweifellos für sich den Respekt, aber in dem Maß, in dem er sich mit einer natürlichen Gemeinschaft identifiziert.
Achten wir darauf, dass die Revolte nicht allein und notwendigerweise im Unterdrückten ausbricht, sondern dass sie beim bloßen Anblick der Unterdrückung eines andern ausbrechen kann. In diesem Fall kommt es also zur Identifikation mit dem andern. Und man muss betonen, dass es sich nicht um eine psychologische Identifizierung handelt, diesen Trick, mittels dessen der Einzelne in seiner Einbildung fühlte, dass die Beleidigung auf ihn zielt. Im Gegenteil kann es vorkommen, dass man es nicht erträgt, andern Beleidigungen zugefügt zu sehen, die man selbst ohne jede Empörung erduldet hat. Die Selbstmorde unter den russischen Terroristen in den Strafkolonien zum Protest gegen die Auspeitschung von Kameraden bezeugen diese große Bewegung. Es handelt sich auch nicht um das Gefühl einer Interessengemeinschaft. Denn wir können die Ungerechtigkeit empörend finden, die man Menschen zufügt, welche wir als Gegner betrachten. Es gibt nur Identifikation mit dem Schicksal und Parteiergreifung. Das Individuum stellt demnach nicht an sich den Wert dar, den es verteidigen will. Um ihn zu bilden, bedarf es mindestens aller Menschen. In der Revolte übersteigert sich der Mensch im andern, von diesem Gesichtspunkt aus ist die menschliche Solidarität eine metaphysische.Nur handelt es sich im Augenblick um jene Art von Solidarität, die in Ketten erwacht.
Man kann die positive Seite des jeder Revolte zugeschriebenen Wertes noch schärfer beleuchten, wenn man sie mit einem durchaus negativen Begriff vergleicht wie demjenigen des Ressentiments nach Schelers Definition 5 . In der Tat ist die Revolte mehr als ein Akt der Forderung im stärksten Sinn des Wortes. Das Ressentiment ist von Scheler sehr gut als eine Selbstvergiftung definiert worden, die unheilvolle, abflusslose Absonderung einer fortgesetzten Ohnmacht. Die Revolte hingegen zerbricht das Sein und hilft ihm überzufließen. Sie setzt aus stehenden Wassern wilde Fluten frei. Scheler betont selbst den passiven Aspekt des Ressentiments, wenn er beobachtet, welch großen Platz es in der Psychologie der Frau einnimmt, die zur Begierde und zum Besitz bestimmt ist. Am Ursprung der Revolte steht hingegen ein Prinzip überschäumender Aktivität und Energie. Mit Recht sagt Scheler auch, dass der Neid das Ressentiment stark färbt. Allein, man beneidet, was man nicht hat, während der Revoltierende verteidigt, was er ist. Er fordert nicht nur ein Gut, das er nicht besitzt und um das man ihn geprellt hätte. Er strebt danach, dass man das anerkenne, was er besitzt, und das er in fast allen Fällen als wichtiger anerkannt hat denn alles, was er neiden könnte. Die Revolte ist nicht realistisch. Immer laut Scheler wächst das Ressentiment, je nachdem, ob es in einer starken oder schwachen Seele groß wird, zu Strebertum oder Verbitterung aus. Aber in beiden Fällen will man anders sein, als man ist. Das Ressentiment ist immer Ressentiment gegen sich selbst. Der Revoltierende verwehrt dagegen in seiner ersten Regung, dass man an das rührt, was er ist. Er kämpft für dieUnversehrtheit eines Teils seines Wesens. Er sucht zuvörderst nicht, etwas zu erobern, sondern etwas durchzusetzen.
Es scheint schließlich, dass das Ressentiment sich im Voraus an einem Schmerz weidet, den es empfunden sehen will vom Gegenstand seines Grolls. Nietzsche und Scheler haben recht, ein schönes Beispiel dieser Fühlart in dem Abschnitt Tertullians zu sehen, wo er seinen Lesern mitteilt, dass die größte Quelle der Glückseligkeit für die Seligen im Himmel das Schauspiel der römischen Kaiser, in der Hölle bratend, sein werde. Die gleiche Seligkeit erfüllte die braven Leute, welche einer Hinrichtung beiwohnten. Die Revolte hingegen beschränkt sich in ihrem Prinzip darauf, die Demütigung zurückzuweisen, ohne sie jedoch für den andern zu
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