Camus, Albert
Byron schon, wiewohl recht sichtbar, für die Freiheit. Auch sie stellen sich zur Schau, aber auf andere Weise. Die Revolte gibt nach und nach die Welt des Scheins auf zugunsten derjenigen der Tat, in welcher sie völlig aufgehen wird. Die französischen Studenten von 1830 und die russischen Dekabristen erscheinen dann als die reinste Verkörperung einer anfangs einsamen Revolte, die nachher durch alle Opfer hindurch den Weg einer Vereinigung sucht. Umgekehrt findet sich die Lust am Weltuntergang und rasenden Leben bei unseren Revolutionären.Das Gepränge der Prozesse, das schreckliche Spiel des Untersuchungsrichters und des Angeklagten, die Inszenierung der Verhöre lassen manchmal ein tragisches Wohlgefallen an der alten List erkennen, durch welche der Rebell der Romantik, zurückweisend, was er war, sich vorübergehend zum äußeren Schein verurteilte, in der unglücklichen Hoffnung, dadurch ein tieferes Sein zu erobern.
Die Verwerfung des Heils
Preist der romantische Rebell das Individuum und das Böse, so ergreift er also nicht die Partei des Menschen, sondern nur seine eigene. Das Dandytum, welcher Art auch immer, ist ein Dandytum bezogen auf Gott. Das Individuum kann als Geschöpf sich einzig dem Schöpfer entgegenstellen. Es braucht Gott, mit dem es eine Art finsterer Koketterie unterhält. Mit Recht bemerkt Armand Hoog 18 , dass trotz der Nietzsche-Stimmung in diesen Werken Gott in ihnen nicht tot ist. Sogar die Verdammung, mit Pauken und Trompeten gefordert, ist nur ein feiner Streich, den man Gott spielt. Mit Dostojewski dagegen macht die Beschreibung der Revolte einen Schritt mehr. Iwan Karamasow ergreift die Partei der Menschen und legt den Akzent auf ihre Unschuld. Er versichert, dass das Todesurteil, das über ihnen schwebt, ungerecht ist. In seiner ersten Bewegung zumindest, weit entfernt, dem Bösen das Wort zu reden, spricht er für die Gerechtigkeit, die er über die Gottheit stellt. Er leugnet also nicht vollständig die Existenz Gottes. Er weist ihn zurück im Namen eines moralischenWertes. Der Ehrgeiz des romantischen Rebellen war es, mit Gott als mit seinesgleichen zu sprechen. Das Böse antwortet dann dem Bösen, der Hochmut der Grausamkeit. Vignys Ideal z. B. ist, dem Schweigen mit Schweigen zu entgegnen. Zweifellos geht es darum, sich damit auf die Ebene Gottes zu schwingen, was schon Lästerung ist.
Aber man denkt nicht daran, der Gottheit die Macht oder den Platz streitig zu machen. Die Lästerung ist ehrerbietig, denn jede Lästerung ist letzten Endes Teilnahme am Heiligen.
Mit Iwan hingegen ändert sich der Ton. Gott wird nun seinerseits abgeurteilt und von oben herab. Wenn das Böse für die göttliche Schöpfung notwendig ist, dann ist diese Schöpfung unannehmbar. Iwan gibt sich nicht mehr diesem geheimnisvollen Gott anheim, sondern einem höheren Prinzip: der Gerechtigkeit. Er leitet das wesentliche Unternehmen der Revolte ein, das darin besteht, das Reich der Gnade zu ersetzen durch das der Gerechtigkeit. Zugleich beginnt er damit den Angriff gegen das Christentum. Die Rebellen der Romantik brachen mit Gott selbst als dem Prinzip des Hasses. Iwan weist ausdrücklich das Mysterium zurück und infolgedessen Gott als das Prinzip der Liebe. Die Liebe allein kann uns das Martha oder den Zehn-Stunden-Arbeitern angetane Unrecht unterschreiben lassen und etwas später uns veranlassen, den nicht zu rechtfertigenden Tod der Kinder hinzunehmen. «Wenn das Leiden der Kinder», sagt Iwan, «dazu dient, die Summe der Schmerzen voll zu machen, die zum Gewinn der Wahrheit nötig ist, so versichere ich im Voraus, dass diese Wahrheit eines solchen Preises nicht wert ist.» Iwan lehnt die tiefe Abhängigkeit ab, die das Christentum zwischen Leid und Wahrheit eingeführt hat. Iwans tiefster Aufschrei, der die erschütterndsten Abgründe unter den Schritten des Revoltierenden aufreißt, ist das
Selbst wenn
.«Meine Entrüstung würde andauern, selbst wenn ich unrecht hätte.» Was bedeutet, dass, selbst wenn es Gott gäbe, selbst wenn das Mysterium eine Wahrheit verhüllte, selbst wenn der Starost Sosima recht hätte, Iwan nicht dulden würde, dass diese Wahrheit mit dem Bösen, dem Leiden und dem Tod eines Unschuldigen bezahlt wird. Iwan verkörpert die Verwerfung des Heils. Der Glaube führt zum unsterblichen Leben. Doch der Glaube setzt die Hinnahme des Mysteriums und des Bösen voraus, die Resignation vor der Ungerechtigkeit. Wem das Leiden der Kinder den Zugang zum Glauben verhindert, der wird
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