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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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‹richtigen Gelbschnabel› behandeln. Der versuchte sich nur mit der Selbstbeherrschung und kam nicht zum Ziele. Andere, Ernsthaftere werden kommen, die, von der gleichen verzweifelten Verneinung ausgehend, die Weltherrschaft fordern werden. Das sind die Großinquisitoren, die Christus gefangensetzen und ihm sagen, seine Methode sei nicht die richtige, das Glück lasse sich auf der Welt nicht durch die unmittelbare Freiheit der Wahl zwischen dem Guten und dem Bösen erlangen, sondern durch die Herrschaft und die Vereinigung der Welt. Zuerst gilt es, zu herrschen und zu erobern. Das Himmelreich wird tatsächlich auf die Erde kommen, die Menschen jedoch werden darin herrschen, zu Beginn einige, die die Cäsaren sein werden, diejenigen, welche zuerst verstanden haben, und mit der Zeit alle anderen. Die Einheit der Schöpfung wird mit allen Mitteln herbeigeführt werden, da ja alles erlaubt ist. Der Großinquisitor ist alt und müde, denn seine Wissenschaft ist bitter. Er weiß, dass die Menschen eher faul als feig sind und dass sie den Frieden und den Tod der Freiheit vorziehen, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Er hat Mitleid, ein kaltes Mitleid mit diesem schweigsamen Gefangenen, den die Geschichte ohne Unterlass Lügen straft. Er drängt ihn zu sprechen, seine Fehler einzugestehenund in gewissem Sinn die Aufgabe der Inquisitoren und Cäsaren zu legitimieren. Doch der Gefangene schweigt. Die Aufgabe wird also ohne ihn weitergeführt; man wird ihn töten. Die Legitimierung wird am Ende der Zeiten kommen, wenn das Reich der Menschen gesichert sein wird. «Die Sache hat erst begonnen und ist vom Ende weit entfernt, die Erde wird noch viel zu leiden haben, aber wir erreichen unser Ziel, wir werden Cäsar sein und dann an das Glück der Welt denken.»
    Der Gefangene ist inzwischen hingerichtet worden; allein regieren die Großinquisitoren, die «dem tiefen Geist, dem Geist der Vernichtung und des Todes» lauschen. Die Großinquisitoren lehnen stolz das Brot des Himmels und die Freiheit ab und bieten das Brot der Erde ohne Freiheit an. «Steig vom Kreuz herab, und wir werden an dich glauben», riefen schon ihre Henkersknechte auf Golgatha. Aber er ist nicht herabgestiegen, ja er hat sich im Augenblick der qualvollsten Agonie bei Gott beklagt, dass er ihn verlassen habe. Es gibt also keine Beweise mehr, sondern nur den Glauben und das Mysterium, das die Rebellen zurückstoßen und die Großinquisitoren verhöhnen. Alles ist erlaubt, und in dieser umwälzenden Minute haben sich die Jahrhunderte des Verbrechens vorbereitet. Von Paulus bis Stalin haben die Päpste, die sich für Cäsar entschieden, die Bahn den Cäsaren geöffnet, die sich nur für sich selbst entscheiden. Die Einheit der Welt, die sich nicht mit Gott gebildet hat, versucht, sich gegen Gott zu bilden.
    Aber so weit sind wir noch nicht. Im Augenblick zeigt uns Iwan nur das aufgelöste Gesicht des Revoltierenden vor dem Abgrund, unfähig zur Tat, zerrissen zwischen dem Gedanken an seine Unschuld und dem Willen zum Mord. Er hasst die Todesstrafe, weil sie das Abbild der menschlichen Daseinsbedingung ist, und geht gleichzeitig aufs Verbrechen zu.Weil er für den Menschen Partei genommen hat, erhält er als seinen Teil die Einsamkeit. Die Revolte der Vernunft endet mit ihm im Wahnsinn.

Die absolute Bejahung
    Vom Augenblick an, da der Mensch Gott einem moralischen Urteil unterwirft, tötet er ihn in sich selbst. Aber was ist dann die Grundlage der Moral? Man leugnet Gott im Namen der Gerechtigkeit, aber kann man die Idee der Gerechtigkeit verstehen ohne die Idee Gottes? Stehen wir dann nicht im Absurden? Es ist eben das Absurde, das Nietzsche geradenwegs angeht. Um es besser überwinden zu können, treibt er es auf die Spitze: Die Moral ist Gottes letztes Gesicht, das man zerstören muss vor dem Neuaufbau. Gott ist dann nicht mehr und gewährleistet nicht mehr unser Sein; der Mensch muss sich entschließen zu handeln, um zu sein.

    Der Einzige

    Schon Stirner wollte, nach Gott selbst, jede Vorstellung von Gott im Menschen austreiben. Aber im Gegensatz zu Nietzsche ist sein Nihilismus zufriedengestellt. Stirner lacht in der Sackgasse, Nietzsche rennt gegen die Mauern an. Von 1845 an, dem Erscheinungsjahr von ‹Der Einzige und sein Eigentum› beginnt Stirner reinen Tisch zu machen. Der Mann, der in der ‹Gesellschaft der Befreiten› mit den Junghegelianern der Linken (darunter Marx) verkehrte, hatte nicht nur mit Gott abzurechnen, sondern auch mit dem

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