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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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‹Menschen› Feuerbachs,dem ‹Geist› Hegels und seiner historischen Verkörperung, dem ‹Staat›. Alle diese Idole sind für ihn aus dem gleichen ‹Mongolismus› hervorgegangen, dem Glauben an ewige Ideen. So konnte er schreiben: «Ich hab mein Sach’ auf Nichts gestellt:» Die Sünde ist gewiss eine ‹mongolische Plage›, aber auch das Recht, dessen Sträflinge wir sind. Gott ist der Feind; Stirner geht so weit wie möglich in der Blasphemie («verdaue die Hostie, und du bist sie los»). Aber Gott ist nur eine der Entfremdungen des Ich oder genauer dessen, was ich bin. Sokrates, Jesus, Descartes, Hegel, alle Philosophen und Propheten haben nie etwas anderes getan, als neue Entfremdungsweisen zu erfinden für das, was ich bin; dieses Ich, das Stirner zu unterscheiden sucht vom absoluten Ich Fichtes, indem er es einengt auf sein Eigentümlichstes und Flüchtigstes. ‹Die Namen nennen es nicht›, es ist das Einzige.
    Die Weltgeschichte bis Christus ist für Stirner nur ein langes Streben, das Reale zu idealisieren. Dies Streben verkörpert sich in den Gedanken und Reinigungsriten der Alten. Von Christus an ist das Ziel erreicht; ein neues Streben hebt an, nun im Gegenteil das Ideelle zu realisieren. Die Verkörperungswut löst die Reinigung ab und verwüstet immer mehr die Welt in dem Maße, wie der Sozialismus, der Erbe Christi, sein Reich ausdehnt. Aber die Weltgeschichte ist nur eine andauernde Verletzung des Prinzips des Einzigen, der ich bin, des lebendigen, konkreten Prinzips, des Siegesprinzips, das man unter das Joch aufeinanderfolgender Abstraktionen – Gott, Staat, Gesellschaft, Menschheit – beugen wollte. Für Stirner ist die Philanthropie eine Nasführung. Die atheistischen Philosophien, die im Kult des Staats und des Menschen gipfeln, sind ihrerseits nur ‹theologische Aufstände›. «Unsere Atheisten», sagt Stirner, «sind wirklich fromme Leute.» Es gab während der ganzen Geschichte nureinen Kult, den der Ewigkeit. Dieser Kult ist eine Lüge. Wahr ist allein der Einzige, der Feind des Ewigen und in Wirklichkeit der Feind von allem, was seiner Herrschgier nicht dient.
    Mit Stirner überschwemmt die Verneinung, die jede Revolte speist, unwiderstehlich jede Bejahung. Er fegt auch jeden Gottesersatz weg, von dem das Gewissen erfüllt ist. «Das Jenseits außer uns ist fortgewischt», sagt er, «aber das Jenseits in uns ist ein neuer Himmel geworden:» Selbst die Revolution, vorab die Revolution, ist ihm zuwider. Um Revolutionär zu sein, muss man an etwas glauben, wo es nichts zu glauben gibt. «Die (französische) Revolution endete mit einer Reaktion, und das zeigt, was die Revolution
in Wirklichkeit
ist.» Sich der Menschheit zu unterwerfen, lohnt sich ebenso wenig, wie Gott zu dienen. Im Übrigen ist die Brüderlichkeit nichts anderes als ‹die sonntägliche Seite des Kommunismus. Werktags werden die Brüder Sklaven. Es gibt demnach für Stirner nur eine Freiheit: ‹meine Macht›, und nur eine Wahrheit: ‹den strahlenden Egoismus der Sterne›.
    In dieser Wüste blüht alles wieder auf. «Die ungeheure Bedeutung eines Freudenrufs ohne Gedanke konnte nicht verstanden werden, solange die lange Nacht des Denkens und des Glaubens dauerte.» Diese Nacht geht an ihr Ende, ein Morgenschein wird sich abzeichnen nicht der Revolutionen, sondern des Aufstands. Der Aufstand ist an und für sich eine Askese, die alle Bequemlichkeit ablehnt. Der Aufständische stimmt mit den andern Menschen nur so lange überein, als ihr Egoismus mit dem seinen zusammenfällt. Sein wahres Leben ist in der Einsamkeit, wo er sein zügelloses Verlangen, zu sein, stillt, das sein ganzes Wesen ausmacht.
    Der Individualismus gelangt so auf einen Gipfel. Er verneint alles, was das Individuum verneint, und verherrlicht alles, was es rühmt und ihm dient. Was ist das Gute, nach Stirner?«Was ich gebrauchen kann.» Wozu bin ich rechtens ermächtigt? «Zu allem, dessen ich fähig bin.» Die Revolte mündet nochmals in die Rechtfertigung des Verbrechens ein. Stirner hat diese Rechtfertigung nicht nur versucht (in dieser Hinsicht findet sich seine direkte Nachkommenschaft in den terroristischen Formen der Anarchie wieder), sondern sich an den Perspektiven, die er damit eröffnete, sichtlich berauscht. «Der Bruch mit dem Heiligen, oder besser des Heiligen, kann allgemein werden. Es ist keine neue Revolution, die sich nähert, aber gewaltig, stolz, rücksichtslos, ohne Scham noch Gewissen schwillt nicht das Verbrechen an mit

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