Camus, Albert
Unhaltbare halten. Sobald man erkennt, dass die Welt kein Ziel verfolgt, schlägt Nietzsche vor, ihre Unschuld anzuerkennen sowie die Tatsache, dass unser Urteil nicht zuständig ist für sie, da man sie auf keine Absicht hin verurteilen kann, und infolgedessen alle Werturteile zu ersetzen durch ein einziges Ja, eine unumschränkte und begeisterte Zustimmung zu dieser Welt. So wird aus tiefer Verzweiflung die unendliche Lust entspringen, aus der blinden Knechtschaft die Freiheit ohne Gnade. Frei sein heißt gerade die Grenzen niederreißen. Die Unschuld des Werdens stellt, sobald man in sie einwilligt, den Gipfel der Freiheit dar. Der freie Geist liebt, was notwendig ist. Der tiefste Gedanke Nietzsches ist, dass die Notwendigkeit der Erscheinungen, wenn sie absolut und ohne Risse ist, keine Art von Zwang in sich schließt. Die totale Zustimmung zu einer totalen Notwendigkeit, das ist seine paradoxe Definition der Freiheit. Die Frage ‹frei wovon?› ist dann ersetzt durch ‹frei wofür?›. Die Freiheit fällt mit dem Heroismus zusammen. Sie ist die Askese des großen Menschen, «der gespannteste Bogen, den es gibt».
Diese höhere Billigung aus Fülle und Überfluss ist die uneingeschränkte Bejahung der Schuld selbst und des Leidens, des Bösen und des Mords, von allem Problematischen und Befremdlichen des Daseins. Sie entspringt aus einem festen Willen, zu sein, was man ist, in einer Welt, die sein mag, was sie ist. «Sich selbst als eine Fatalität betrachten, sich nicht anders machen wollen, als man ist.» Das Wort ist ausgesprochen. Nietzsches Askese, ausgehend von der Anerkennung des Schicksals, endet mit einer Vergöttlichung des Schicksals. Es wird umso verehrungswürdiger, als es erbarmungslos ist. Der moralische Gott, das Mitleid, die Liebe sind ebenso viele Feinde des Schicksals, als sie es auszugleichen suchen. Nietzschewill keinen Loskauf. Die Lust des Werdens ist die Lust der Vernichtung. Aber nur das Individuum geht zugrunde. Die Revolte, in der der Mensch sein eigenes Sein forderte, verschwindet hinter der völligen Unterwerfung des Individuums unter das Werden. Der
amor fati
ersetzt, was ein
odium fati
war. «Jedes Individuum wirkt am ganzen kosmischen Sein mit, ob wir es wissen oder nicht, ob wir wollen oder nicht.» Das Individuum verliert sich so im Schicksal der Gattung und der ewigen Bewegung der Welt. «Alles, was war, ist ewig, das Meer wirft es wieder ans Ufer.»
Nietzsche kehrt also zu den Ursprüngen des Denkens zurück, zu den Vorsokratikern. Diese hoben die Endziele auf, um die Ewigkeit des Prinzips, das sie ersonnen hatten, unangetastet zu lassen. Nur die Kraft ohne Ziel ist ewig, Heraklits ‹Spiel›. Nietzsches ganzes Bemühen geht darauf, die Gegenwart des Gesetzes im Werden aufzuzeigen und des Spiels in der Notwendigkeit: «Das Kind ist Unschuld und Vergessen, ein Wiederbeginn, ein Spiel, ein Rad, das von selbst rollt, eine erste Bewegung, die heilige Gabe, ja zu sagen.» Die Welt ist göttlich, weil sie keinen Grund noch Zweck hat. Deshalb ist allein die Kunst, aus der gleichen Zweckfreiheit, fähig, sie zu erfassen. Kein Urteil sagt die Welt aus, doch die Kunst kann uns lehren, sie zu wiederholen, wie die Welt sich wiederholt im Laufe der ewigen Wiederkunft. Am gleichen Strand wiederholt das Urmeer ohne Unterlass die gleichen Worte und wirft die gleichen Wesen aus, die erstaunt sind über ihr Leben. Aber derjenige zum mindesten, der einverstanden ist mit seiner und aller Dinge Wiederkunft, der sich zum Echo, zum preisenden Echo, macht, nimmt an der Göttlichkeit der Welt teil.
Auf diesem Umweg tritt in der Tat die Göttlichkeit des Menschen am Ende auf. Der Rebell, der anfangs Gott leugnet, zielt am Schluss darauf ab, ihn zu ersetzen. Aber NietzschesBotschaft ist, dass er nur durch den Verzicht auf jegliche Revolte Gott wird, auch auf diejenige, die die Götter hervorbringt, um die Welt zu verbessern. «Wenn es einen Gott gibt, wie ertrüge ich’s, keiner zu sein?» Es gibt in Wirklichkeit einen Gott, das ist die Welt. Um seiner Göttlichkeit teilhaftig zu werden, genügt es, ja zu sagen. «Nicht mehr beten, segnen», und die Erde wird erfüllt sein von Gottmenschen. Ja sagen zur Welt, sie wiederholen, heißt die Welt und sich selbst zugleich neu schaffen, zum großen Künstler, zum Schöpfer werden. Nietzsches Botschaft lässt sich in dem Wort Schöpfung zusammenfassen, mit dem Doppelsinn, den es angenommen hat. Nietzsche hat immer nur den Egoismus und die Härte, die
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