Camus, Albert
jedem Schöpfer eigen sind, verherrlicht. Die Umwandlung der Werte besteht einzig darin, den Wert des Richters zu ersetzen durch denjenigen des Schöpfers: die Ehrfurcht und Leidenschaft für das, was ist. Die Göttlichkeit ohne Unsterblichkeit definiert die Freiheit des Schöpfers. Dionysos, Gott der Erde, schreit ewig in der Zerstückelung. Aber zu gleicher Zeit verkörpert er jene aufgewühlte Schönheit, die mit dem Schmerz zusammenfällt. Nietzsche dachte, zur Erde und zu Dionysos ja sagen, bedeute zu ihrem Leiden ja sagen. Alles gutheißen, den höchsten Widerspruch wie den Schmerz, heißt über alles herrschen. Nietzsche war bereit, den Preis für dieses Königreich zu bezahlen. Einzig die ‹ernste und leidende› Erde ist wahr. Sie allein ist die Gottheit. Gleichwie jener Empedokles, der sich in den Ätna stürzte, um die Wahrheit zu suchen, wo sie ist: in den Eingeweiden der Erde, so schlägt Nietzsche dem Menschen vor, sich in den Kosmos hineinzuwerfen, um seine ewige Göttlichkeit wiederzufinden und selbst Dionysos zu werden. Der ‹Wille zur Macht› endet somit, wie Pascals ‹Pensées›, an die er so oft denken lässt, mit einer Wette. Der Mensch gewinnt noch nicht die Gewissheit, sondern den Willen zur Gewissheit,was nicht das Gleiche ist. Daher schwankte Nietzsche in diesem äußersten Fall: «Das ist unverzeihlich an dir. Du hast die Vollmacht, und du weigerst dich, zu unterschreiben.» Er musste jedoch unterschreiben. Aber der Name Dionysos hat nur die Briefe an Ariadne unsterblich gemacht, die er im Wahnsinn schrieb.
In gewissem Sinn endet die Revolte bei Nietzsche noch mit einer Verherrlichung des Bösen. Mit dem Unterschied freilich, dass das Böse nun keine Vergeltung mehr ist. Es wird anerkannt als eine der möglichen Seiten des Guten und noch gewisser als eine Schicksalssendung. Es wird also angenommen, um überwunden zu werden, sozusagen als ein Heilmittel. Im Geiste Nietzsches handelte es sich bloß um das stolze Zugeständnis der Seele dessen, was sie nicht vermeiden kann. Wir kennen indes seine Nachkommen und die Politik, die sich von demjenigen herleiten sollte, der sich den letzten antipolitischen Deutschen nannte. Er stellte sich Tyrannen als Künstler vor. Aber der Mittelmäßigkeit ist die Tyrannei natürlicher als die Kunst. «Lieber Cesare Borgia als Parsifal», rief er aus. Er bekam sowohl Cäsar wie Borgia, doch ohne die Aristokratie des Herzens, die er den großen Gestalten der Renaissance zuschrieb. Während er verlangte, dass sich das Individuum vor der Ewigkeit der Gattung verneige und eingehe in den großen Kreislauf der Zeit, machte man aus der Rasse einen Spezialfall der Gattung und beugte das Individuum vor diesem schmutzigen Gott nieder. Das Leben, von dem er mit Furcht und Zittern sprach, wurde zu einer Biologie für den Hausgebrauch herabgewürdigt. Eine Brut kulturloser ‹Herren›, vom Willen zur Macht stotternd, hat schließlich selbst die ‹antisemitische Verkrüppelung› angenommen, die er stets verachtet hatte.
Er hatte an den Mut vereint mit Geist geglaubt, das nannte er die Kraft. Man hat darauf, in seinem Namen, den Mut gegenden Geist ausgespielt, und diese Tugend, die zutiefst die seine war, wurde damit in ihr Gegenteil verkehrt: in die Gewalttätigkeit mit ausgestochenen Augen. Er hatte Freiheit mit Einsamkeit verwechselt in der Art eines stolzen Geistes. Seine «tiefe Einsamkeit von Mittag und Mitternacht» ging jedoch verloren in der mechanisierten Masse, die schließlich Europa überflutet hat. Den Verteidiger des klassischen Geschmacks, der Ironie, der sparsamen Impertinenz, den Aristokraten, der sagen konnte, Aristokratie bestehe darin, die Tugend zu üben, ohne nach Gründen zu fragen, und dass man an einem Menschen zweifeln müsse, der Gründe brauche, um ehrenhaft zu bleiben, den Narren der Rechtschaffenheit («diese Rechtschaffenheit, die ein Instinkt, eine Leidenschaft geworden ist»), den beharrlichen Diener jener «höchsten Gerechtigkeit des höchsten Geistes, dessen Todfeind der Fanatismus ist», erhob sein eigenes Land, dreiunddreißig Jahre nach seinem Tod, zum Lehrer der Lüge und der Gewalttätigkeit und machte Begriffe und Tugenden verhasst, die sein Opfer bewundernswert gemacht hatte. In der Geschichte des Geistes hat Nietzsches Abenteuer, Marx ausgenommen, nichts Gleichwertiges; die Ungerechtigkeit, die ihm angetan wurde, werden wir nie gutmachen können. Ohne Zweifel kennt man Philosophien, die in Geschichte umgesetzt und dabei
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