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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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was die tiefe Originalität seiner Bewegung ausmacht, die Wiedereinsetzung des Heiligen und die Eroberung der Einheit. Je mehr er diese Originalität vertieft hat, umso unwiderruflicher hat er sich von seinen politischen Gefährten getrennt und gleichzeitig auch von einigen seiner ersten Forderungen.
    André Breton hat in der Tat niemals geschwankt in seinem Anspruch auf das Surreale: die Verschmelzung des Traums und der Wirklichkeit, die Sublimierung des alten Widerspruchs zwischen Idealem und Realem. Die surrealistische Lösung ist bekannt: das konkrete Irrationale, der objektive Zufall. Die Dichtung ist eine Eroberung, die einzig mögliche, des ‹höchsten Punktes›. «Ein gewisser Punkt des Geistes,von wo aus Leben und Tod, das Reale und das Imaginäre, Vergangenheit und Zukunft nicht mehr als Gegensatz wahrgenommen werden.» Was ist denn dieser höchste Punkt der ‹die riesenhafte Fehlgeburt des Hegel’schen Systems› bezeichnen soll? Es ist die Suche nach dem Gipfel-Abgrund, der den Mystikern vertraut ist. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Mystizismus ohne Gott, der des Rebellen Durst nach Absolutem aufzeigt und stillt. Der hauptsächlichste Feind des Surrealismus ist der Rationalismus. Bretons Denken liefert übrigens das merkwürdige Schauspiel eines westlichen Denkens, bei dem das Analogieprinzip fortwährend den Vorzug erhält vor den Prinzipien der Identität und des Widerspruchs. Es handelt sich ja gerade darum, die Widersprüche im Feuer der Begierde und der Liebe zu verschmelzen und die Mauer des Todes zum Einsturz zu bringen. Die Magie, die primitiven oder naiven Kulturen, die Alchimie, die Rhetorik der Feuerblumen oder der durchwachten Nächte sind lauter wunderbare Etappen auf dem Weg zur Einheit und dem Stein der Weisen. Mag der Surrealismus auch die Welt nicht geändert haben, so hat er ihr doch einige seltsame Mythen beigebracht, welche zum Teil Nietzsche recht geben, als er die Rückkehr der Griechen ankündigte. Teilweise nur, denn es handelt sich um ein Griechenland des Schattens, dasjenige der Mysterien und der schwarzen Götter. Wie Nietzsches Erlebnis sich krönte in der Annahme der Mittagsstunde, gipfelt dasjenige des Surrealismus zum Schluss in der Verherrlichung der Mitternacht, dem hartnäckigen und angstvollen Kult des Gewitters. Breton hat, nach seinen eigenen Worten, verstanden, dass trotz allem das Leben vorausgegeben ist. Aber seine Zustimmung konnte nicht die des hellen Tageslichts sein, das wir nötig haben. «In mir ist zu viel Norden», sagte er, «als dass ich der Mensch der vorbehaltlosen Zustimmung sei.»
    Er hat jedoch, oft gegen sich selbst, den Anteil der Verneinung verringert und die positive Forderung der Revolte ins Licht gestellt. Er entschied sich für die Strenge eher als für das Schweigen und behielt nur die ‹moralische Aufforderung› zurück, die – nach Bataille – den ersten Surrealismus erfüllte: «Eine neue Moral an die Stelle der landläufigen setzen, dieser Ursache aller unserer Übel.» Ohne Zweifel ist weder ihm noch einem andern dies Unternehmen, eine neue Moral zu begründen, geglückt. Doch verzweifelte er nie an der Möglichkeit des Gelingens. Angesichts des Grauens einer Epoche, in welcher der Mensch, den er preisen wollte, gerade im Namen einiger vom Surrealismus angenommener Prinzipien hartnäckig erniedrigt wurde, sah Breton sich gezwungen, vorübergehend eine Rückkehr zur überkommenen Moral vorzuschlagen. Vielleicht ist es eine Pause. Aber es ist die Pause des Nihilismus, der wahre Fortschritt der Revolte. In Ermangelung der Möglichkeit, sich die Moral und die Werte zu setzen, deren Notwendigkeit er deutlich gefühlt hat, weiß man, dass Breton sich schließlich für die Liebe entschieden hat. In seiner hündischen Zeit, und das wird nicht vergessen werden, ist er der Einzige, der von der Liebe tief gesprochen hat. Die Liebe ist die Moral in Trance, die diesem Verbannten als Heimat diente. Gewiss fehlt ein Maß auch hier. Weder eine Politik noch eine Religion, ist der Surrealismus vielleicht nur eine unmögliche Weisheit. Doch ist das gerade der Beweis, dass es keine bequeme Weisheit gibt: «Wir wollen und werden es haben, das Jenseits zu unseren Lebzeiten», rief Breton herrlich aus. Die glänzende Nacht, in der er sich gefiel, während die Vernunft, zur Tat übergegangen, mit ihren Armeen die Welt überschwemmt, kündigt vielleicht wirklich jene Morgenröte an, die noch nie geleuchtet hat, und die Frühgedichte (‹Le

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