Camus, Albert
hervorruft, aber gegen sie. Es erklärt nichts, wenn es auch alles rechtfertigt. Für die Surrealisten war die Revolution kein Ziel, das man mit der Tat von selbst verwirklicht, sondern ein absoluter, trostreicher Mythos. Sie war ‹das wirkliche Leben wie die Liebe›, von der Eluard sprach, der damals noch nicht ahnte, dass sein Freund Kalandra an diesem Leben sterben sollte. Sie wollten den ‹Kommunismus des Genies›, nicht den andern. Diese sonderbaren Marxisten erklärten sich im Aufstand gegen die Geschichte und feierten das heroische Individuum. «Die Geschichte wird von Gesetzen gelenkt, welche die Feigheit der Individuen bedingt.» André Breton wollte zu gleicher Zeit die Revolution und die Liebe, die unvereinbar sind. Die Revolution besteht darin, einen Menschen zu lieben, den es noch nicht gibt. Wer jedoch ein lebendes Wesen liebt, wirklich liebt, kann nur dafür sterben wollen. In Wirklichkeit war die Revolution für André Breton nur ein Spezialfall der Revolte, während für die Marxisten und für jedes politische Denken schlechthin allein das Umgekehrte wahr ist. Breton suchte nicht durch die Tat den Staat des Glücks aufzubauen, der die Geschichte krönen müsste. Eine der grundlegenden Thesen des Surrealismus lautet tatsächlich, dass es kein Heil gibt. Der Vorzug der Revolution ist es nicht, den Menschen das Glück zu bringen, ‹den abscheulichen irdischen Komfort›.Sie sollte im Gegenteil nach Bretons Ansicht ihr tragisches Geschick reinigen und erhellen. Die Weltrevolution und die schrecklichen Opfer, die sie voraussetzt, sollten nur eine Wohltat bringen: ‹verhindern, dass die völlig künstliche Ungesichertheit der sozialen Stellung die wirkliche Ungesichertheit des menschlichen Geschicks verhüllt›. Freilich, für Breton war dieser Fortschritt maßlos. Ebenso könnte man sagen, die Revolution müsse einer inneren Askese dienstbar gemacht werden, durch welche jeder Mensch das Reale in das Wunderbare verwandeln kann, ‹eine glänzende Vergeltung der Phantasie des Menschen›. Das Wunderbare nimmt bei André Breton die Stelle des Rationalen bei Hegel ein. So kann man sich keinen vollständigeren Gegensatz mit der Philosophie des Marxismus denken. Das lange Zögern derjenigen, die Artaud die Amiels der Revolution nannte, erklärt sich unschwer. Die Surrealisten waren von Marx weit verschiedener als Reaktionäre, wie z. B. Joseph de Maistre. Diese schieben die Tragik des Lebens vor, um die Revolution zurückzuweisen, d. h. um eine historische Situation aufrechtzuerhalten. Die Marxisten schieben sie vor, um die Revolution zu rechtfertigen, d. h. um eine andere historische Situation herbeizuführen. Beide stellen sie die menschliche Tragödie in den Dienst ihrer pragmatischen Ziele. Breton benutzte hingegen die Revolution dazu, die Tragödie zu vollenden, und stellte sie in Wahrheit, trotz des Titels seiner Zeitschrift, in den Dienst des surrealistischen Abenteuers.
Der endgültige Bruch wird dann klar, wenn man daran denkt, dass der Marxismus die Unterwerfung des Irrationalen verlangte, während die Surrealisten sich erhoben hatten, um bis zum Tod das Irrationale zu verteidigen. Der Marxismus strebte nach der Eroberung des Ganzen und der Surrealismus, wie jede geistige Erfahrung, nach der Einheit. Das Ganze kann die Unterwerfung des Irrationalen fordern,wenn das Rationale zur Eroberung der Weltherrschaft genügt. Doch der Wunsch nach Einheit ist anspruchsvoller. Es genügt ihm nicht, dass alles rational sei. Er will vor allem die Versöhnung auf gleicher Stufe des Rationalen mit dem Irrationalen. Es gibt keine Einheit, die eine Verstümmelung voraussetzt.
Für André Breton konnte das Ganze nicht mehr als eine Etappe sein, eine notwendige vielleicht, aber sicherlich eine ungenügende auf dem Weg zur Einheit. Hier finden wir wieder das Thema des ‹Alles oder nichts›. Der Surrealismus strebt nach dem Allgemeinen, und Bretons seltsamer, aber tiefer Vorwurf Marx gegenüber lautet, dieser sei eben nicht allgemein. Die Surrealisten wollten Marxens ‹Die Welt umformen› in Einklang bringen mit Rimbauds ‹Das Leben ändern›. Aber der Erstere führt zur Eroberung der Ganzheit der Welt, und der Zweite zur Einheit des Lebens. Jede Ganzheit ist, paradoxerweise, restriktiv. Schließlich haben die beiden Formeln die Gruppe gesprengt. Indem er sich für Rimbaud entschied, zeigte Breton, dass der Surrealismus nicht Handlung, sondern Askese und geistige Erfahrung ist. Er stellte in den Vordergrund,
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