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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Maschine zum Kentern des Geistes, wurde zuerst in der Dada-Bewegung geschmiedet, deren romantische Ursprünge und deren blutleeres Dandytum hervorgehoben werden müssen. 27 Der Sinnverzicht und der Widerspruch werden um ihrer selbst willen gepflegt. «Die wahren Dadaisten sind gegen Dada. Jedermann ist Dada-Führer.» Oder: «Was ist gut? Was ist hässlich? Was ist groß, stark, schwach … Kenn ich nicht, kenn ich nicht!» Diese Salonnihilisten liefen offensichtlich Gefahr, die striktesten Orthodoxien mit Dienern zu beliefern. Allein, es gibt im Surrealismus noch etwas mehr als diesen paradierenden Nonkonformismus, gerade das Erbe Rimbauds, das Breton in die Worte zusammenfasst: «Müssen wir hier alle Hoffnung fahrenlassen?»
    Ein lauter Ruf nach dem abwesenden Leben greift zur Waffe der totalen Zurückweisung der Welt, wie es Breton recht stolz ausgedrückt hat: «Unfähig, die Partei des Schicksals zu ergreifen, das mir bereitet ist, zutiefst in meinem Bewusstsein getroffen durch diese Rechtsverweigerung, hüte ich mich, mein Leben den lächerlichen Lebensbedingungenhienieden anzupassen.» Der Geist kann, nach Breton, nichts finden, wo sich niederzulassen, weder im Leben noch im Jenseits. Der Surrealismus will auf diese einhaltlose Beunruhigung Antwort geben. Er ist ein ‹Schrei des Geistes, der sich gegen sich selbst wendet, fest entschlossen, diese Ketten voller Verzweiflung zu brechen›. Er schreit gegen den Tod und ‹die lächerliche Dauer› eines prekären Lebens. Der Surrealismus stellt sich also unter die Befehle der Ungeduld. Er lebt in einem gewissen Zustand verletzter Raserei, zugleich in Strenge und stolzer Unnachgiebigkeit, die beide eine Moral voraussetzen. Von Anfang an sah sich der Surrealismus, das Evangelium der Unordnung, gezwungen, eine Ordnung zu erschaffen. Aber zuerst hat er nur daran gedacht, zu zerstören, mit der Dichtung auf dem Felde der Verfluchung, darauf mit realen Hammerschlägen. Der Prozess gegen die wirkliche Welt wurde logischerweise zum Prozess gegen die Schöpfung.
    Der surrealistische Antitheismus ist vernunftgemäß und methodisch. Er festigt sich zuerst am Gedanken der absoluten Schuldlosigkeit des Menschen, dem man ‹alle Macht, die er fähig war, mit dem Wort Gott zu verbinden›, zurückgeben muss. Wie überall in der Geschichte der Revolte hat sich der Gedanke der absoluten Schuldlosigkeit, der Verzweiflung entsprossen, umgewandelt in einen Rausch der Strafe. Zu gleicher Zeit, als sie die menschliche Unschuld verherrlichten, glaubten die Surrealisten den Mord und den Selbstmord preisen zu können … Sie sprachen vom Selbstmord wie von einer Lösung, und Crevel, der diese Lösung ‹für die wahrscheinlich richtigste und endgültigste› hielt, tötete sich wie Rigaut und Vache. Aragon konnte darauf die Selbstmordschwätzer brandmarken. Nichtsdestoweniger ist es für niemanden ehrenvoll, die Vernichtung zu feiern und sich nicht mit den andern hineinzustürzen. In diesem Punkt bewahrteder Surrealismus die schlimmste Leichtfertigkeit der ‹Literatur›, die er verabscheute, und rechtfertigte Rigauts erschütternden Schrei: «Ihr seid alle Dichter, aber ich, ich stehe auf der Seite des Todes.»
    Der Surrealismus hat sich damit nicht begnügt. Er hat zu seinem Helden Violette Nozière gemacht, den anonymen Verbrecher nach gemeinem Recht und damit, angesichts des Verbrechens selbst, die Unschuld des Geschöpfs unterstrichen. Aber er hat auch zu sagen gewagt, und das ist das Wort, das André Breton seit 1933 bereuen muss, die einfachste surrealistische Tat bestehe darin, mit dem Revolver in der Hand auf die Straße zu gehen und blindlings in die Menge zu schießen. Wer jede andere Determination ablehnt, außer der des Individuums und seiner Begierden, und jeden Vorrang, außer dem des Unbewussten, dem steht es in der Tat zu, gleichzeitig gegen die Gesellschaft und die Vernunft zu revoltieren. Die Theorie der grund- und zwecklosen Handlung krönt die Forderung nach absoluter Freiheit. Was tut es, wenn diese Freiheit am Schluss in der Einsamkeit aufgeht, von der Jarry sagt: «Wenn ich alles Geld zusammengerafft habe, werde ich alle töten und meines Weges gehen.» Wesentlich ist, dass die Schranken geleugnet werden und das Irrationale triumphiert. Was bedeutet in der Tat diese Apologie des Verbrechens, wenn nicht das eine, dass in einer Welt ohne Bedeutung noch Ehre einzig der Wunsch, zu sein, in allen seinen Formen berechtigt ist? Der Lebensschwung, der Drang des

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