Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
Habseligkeiten und ein Jahrhundertmanuskript mit sich herum und weiß wieder einmal nicht, was aus ihm werden soll. Wie wäre es, einen Bauernhof in Algerien zu bewirtschaften? Oder lieber ein Geschäft eröffnen? Die Zeitung hat ihm angekündigt, seiner Hilfe nur noch bis zum Sommer zu bedürfen.
Als die Zeitung im September nach Lyon weiterzieht, hat Camus den ersten Teil des
Sisyphos
beendet. Pascal Pia war im Juli von der Front nach Paris zurückgekehrt. Im Oktober trifft auch er in Lyon ein und nimmt die Arbeit beim
Paris
-
Soir
wieder auf. Die Freunde wohnen im Hotel «Eden», einem ehemaligen Bordell.
Ende November kommt Francine Faure nach Lyon. Am 3 . Dezember 1940 soll geheiratet werden. Die Ehe wird genau zwanzig Jahre, einen Monat und einen Tag halten, bis zum Tod des Ehemannes am 4 . Januar 1960 . Francine Camus wird im Laufe dieser Ehe die Hilfe der Psychiatrie benötigen und einen Selbstmordversuch unternehmen.
Warum Camus diese Verbindung trotz seiner ausschweifend promisken Lebensführung eingeht, ist eine Frage, die sich erst aus heutiger Perspektive stellt. In der Liebesordnung des mittelmeerischen Mannes waren Ehe und Eros getrennte Sphären. Es wird nicht lange dauern, und Camus wird von seiner Ehefrau als von seiner «Schwester» sprechen. Im
Caligula
hatte er seinen Helden sagen lassen: «Einen Menschen lieben, heißt einwilligen, mit ihm alt zu werden. Dieser Liebe bin ich nicht fähig.» [136] Und im Don-Juan-Kapitel des
Mythos des Sisyphos
, das er in den Wochen nach der Heirat in Angriff nimmt, schreibt er: «Warum sollte man selten lieben, um stark zu lieben?» [137] Die Liebe ist in der Moderne eine der letzten Illusionsbastionen. Camus reißt sie ein. Sein Liebesamoralismus ist bitter, aber nicht unversöhnlich: In jungen Jahren liebe man nicht, man gefalle einander. Erst wenn man alt und impotent sei, könne man einander lieben.
Im Werk Camus’ gibt es keine Liebe zwischen Mann und Frau, nicht im zeitgenössischen Sinn. Dem Autor fehlen dazu alle Voraussetzungen. Das Liebesmodell bürgerliche Ehe ist ihm in keiner Lebensphase vorbildhaft begegnet, weder als Kriegswaise noch als Unterschichtskind oder als algerischer Dandy. Er hat historisch weit auseinander liegende Gefühlszeitalter in Windeseile durchquert, ist aus einer vormodernen Lebenswelt mit Siebenmeilenstiefeln im Milieu der Pariser Künstlerbohème gelandet, ohne je mit den bürgerlichen Seelenlandschaften in tiefere Berührung gekommen zu sein.
In den Fragen des Herzens ist Camus ein Mann des frühen 18 . Jahrhunderts, das die Idee von der romantischen Liebe noch gar nicht entdeckt hat, welche das Paar Sartre-Beauvoir in seinen angestrengten erotischen Kalkulationen schon wieder weit hinter sich gelassen hat. In seiner Liebespraxis ähnelt er dem Libertin und dem adligen Lebemann. Das Unglück, das er damit anrichtet, ist ihm nicht gleichgültig. Er betrachtet es jedoch wie ein Schicksal, dem man nicht entkommen kann.
Camus’ allerletzte Aufzeichnungen, ein paar Seiten seines Tagebuches, geschrieben in Lourmarin, Tage oder Stunden vor der Abfahrt in den Tod, ziehen eine Art Resümee seines Liebeslebens. Es fällt bitter aus.
«Ich habe mein Leben lang, sobald ein Mensch mir Zuneigung entgegenbrachte, alles getan, damit er sich zurückzog. Natürlich gibt es meine Unfähigkeit, Verpflichtungen einzugehen, mein Gefallen an den Menschen, an der Vielfalt, meinen Pessimismus, was mich betrifft. Aber vielleicht war ich weniger leichtfertig, als ich behaupte. Das erste Geschöpf, das ich geliebt habe und dem ich treu war, ist mir in den Drogen, im Verrat entglitten [seine erste Frau Simone Hié]. Vielleicht rührt vieles von dort her, aus Eitelkeit, aus Furcht, wieder zu leiden, dabei habe ich doch viele Leiden auf mich genommen. Aber seitdem bin ich meinerseits allen entglitten, und irgendwie wollte ich, dass mir alle entglitten. […] Manchmal klage ich mich an, unfähig zu sein, jemanden zu lieben. Vielleicht stimmt das, aber ich war fähig, ein paar Menschen zu
erwählen
und ihnen, unabhängig von ihrem Tun, getreulich das Beste meiner selbst zu bewahren». [138]
Die Heirat am 3 . Dezember in Lyon ist schlicht.
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Francine und Albert mit dem Trauzeugen Pascal Pia in Lyon
Pascal Pia ist Trauzeuge, die Ringe sind aus Metall, einige Kollegen von der Zeitung begleiten das Brautpaar ins Rathaus, danach geht man etwas trinken. Noch im Hochzeitsmonat Dezember schreibt Camus in sein Tagebuch: «Bewusst
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