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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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völlig anderem Zuschnitt. Noch bevor ihn das Manuskript des
Fremden
überhaupt erreicht hat, bedrängt er Camus, den Roman in der neuen Zeitschrift zu veröffentlichen. In schlaflosen Nächten schreibt er ihm endlose Briefe, in denen er die Autoren aufzählte, die er sich wünscht, und Themen der neuen Kulturzeitschrift entwirft: ein Aufsatz über den gerade verstorbenen Joyce, einen über Freud, Essays über Bergson, Sherwood Anderson, den verrückten Saint-Pol-Roux. Er fragt Camus nach seinen Lektüren, könnte er vielleicht etwas zu Sartre schreiben? Einem Mann wie ihm, der mit Kierkegaard frühstücke, mit Heidegger diniere und mit Husserl soupiere, müsse doch schließlich etwas einfallen. Pia steckt voller Elan und voller Projekte, die er in seinen Briefen der besseren Übersicht halber nummeriert. Auch in Algier wäre er gern wieder publizistisch tätig. Vielleicht könnte man dort einen Ableger des
Paris
-
Soir
herausbringen?
    Ohne Pascal Pia an seiner Seite wäre Camus in diesen Jahren verloren gegangen. Er wäre das fünfte Glied einer braven Lehrerfamilie in Oran geblieben, still vor sich hin leidend, ab und zu einer Affäre nachgehend, seine Bücher im algerischen Kleinverlag Charlot publizierend. Ohne diesen großartigen, begeisterungsfähigen und bedingungslos engagierten Journalisten hätten wir von Camus wahrscheinlich nie etwas gehört.
    Am 25 . April 1941 schreibt Pia den entscheidenden Brief an Camus. Er hat den
Fremden
endlich gelesen und ist restlos begeistert: «Cher Camus, es ist lange her, dass ich etwas von dieser Qualität gelesen habe. Ich bin sicher, dass der ‹Fremde› früher oder später einen der allerersten Ränge einnehmen wird.» [159] Die letzten fünfzehn Seiten des Romans gefallen Pia so gut wie die besten Seiten von Kafka. Zielsicher greift er einen der schönsten Sätze heraus (über die Tränen des alten Perez, von denen es heißt: «Sie breiteten sich aus und flossen wieder zusammen und bildeten einen Wasserfirnis auf diesem zerstörten Gesicht»), um zu zeigen, dass Camus weder in die Falle getappt war, so experimentell zu schreiben wie seiner Meinung nach de Sade oder Benjamin Constant, noch so blumig wie der junge André Gide.
    Im Mai gibt Pia unverzüglich die guten Nachrichten von Jean Paulhan weiter: «Einverstanden mit Camus. G.G. [Gaston Gallimard] nimmt ihn. Schick ihm den Text nach Cannes». Am 27 . Mai folgt die Zusammenfassung eines Briefes von André Malraux, der das Manuskript des
Étranger
in einem Zug gelesen hatte: «Der ‹Fremde› ist ganz klar eine wichtige Sache». Er machte detaillierte Verbesserungsvorschläge in vier Punkten, etwa zur Auflockerung des monotonen Satzbaus. Pia verwirft diese Kritik: Ihn störe der trockene Stil nicht, solange ein Sprachstil korrekt sei, sei er persönliche Geschmackssache. Er rät Camus, sich nun direkt mit Malraux, der an der Côte d’Azur in Cap d’Ail logierte, in Verbindung zu setzen.
    Pia gibt auch nicht auf, Paulhan zu bedrängen, alle drei Manuskripte Camus’, den
Fremden, Sisyphos
und
Caligula
, gleichzeitig bei Gallimard herauszubringen. Am 31 . Mai meldet der Unermüdliche, er habe nun ebenfalls den Dichter Francis Ponge für Camus’ Texte zu begeistern versucht. Anfang Dezember schließlich berichtet er von einem Brief Malraux’, den er soeben erhalten habe: Gallimard bestätigte offiziell, den
Fremden
und
Sisyphos
veröffentlichen zu wollen.
    Von Paulhan kann Pia inzwischen eine Einschätzung des
Sisyphos
weitergeben: Der Essay sei intelligent, jedoch nicht mehr als eine intelligente Zusammenfassung der «metaphysischen Ereignisse» der letzten zehn Jahre und zu sehr von Malraux und Schestow beeinflusst. Für die Erstpublikation des
Fremden
schlage Paulhan die
N.R.F.
oder die
Comœdia
vor. Pia will allerdings Paulhan dazu bewegen, sein Urteil über den
Sisyphos
zu revidieren, entschieden rät er von einer Veröffentlichung in der
N.R.F.
unter Drieu La Rochelle ab: Das sei ein Ort, der mehr stinke als jemals zuvor. Über
Comœdia
weiß Pia zu dem Zeitpunkt noch nichts zu sagen, doch auch diese kulturelle Wochenzeitung aus dem Haus Gallimard, die sich der mehrfachen Mitarbeit Sartres, Claudels, Valérys und Cocteaus rühmen konnte, wird unter der Leitung von René Delange offen kollaborieren. Hier wird zwar eine der ersten begeisterten Kritiken des
Fremden
aus der Feder von Marcel Arland erscheinen, doch hielt sie ihre Spalten auch für Propagandanachrichten aus Nazideutschland frei. Pias Warnungen

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