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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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Begleitung seiner Frau, wie immer mit dem Schiff, nach Marseille und weiter nach Lyon, um sich in dem kleinen Weiler Le Panelier in der Nähe von Le Chambon-sur-Lignon einzuquartieren, wo eine entfernte Verwandte seiner Frau auf 1000  Metern Höhe eine Familienpension betreibt: Camus’ Zauberberg. Nach Francines Rückreise am Ende der Sommerferien wird er hier im Herbst und Winter große Teile der
Pest
schreiben, einsam, bei nur vier Zigaretten am Tag, unter ärztlicher Kontrolle und sanft unterstützt von einem keuschen, sanatoriumsähnlichen Lebenswandel.
    Die ersten Kritiken zum
Fremden
sind verheerend, die Kollaborationspresse findet den Helden träge und amoralisch und bestätigt damit das Urteil des im Roman tagenden Gerichts. Auch im
Figaro
, der in der freien Zone erscheint, attestiert man Camus allenfalls ein mittelmäßiges Talent. Radio Vichy missfällt die Willensschwäche und Verantwortungslosigkeit der Hauptfigur. Allein in Gallimards Hauszeitschriften
N.R.F.
und
Comœdia
erscheinen fabelhafte Kritiken.
    Camus reagiert, wie später noch so oft, tief gekränkt auf die Verrisse und verfasst sofort eine seiner berühmten Repliken – vorläufig nur für sich im Tagebuch. An den Kritiker André Rousseaux vom
Figaro
schreibt er in seinem Pensionszimmer:
    «Sie unterstellen mir völlig unbegründet eine lächerliche Philosophie. In der Tat rechtfertigt keine einzige Stelle des Buches Ihre Behauptung, ich hielte den Menschen für ein rein biologisches Wesen, ich setzte ein menschliches Wesen einem pflanzlichen Geschöpf gleich, die menschliche Natur stehe außerhalb der Moral usw. […] Ich sage es Ihnen ohne Zorn: dies ist verabscheuenswert. Weder Sie noch sonst jemand ist berufen zu entscheiden, ob ein Werk der Nation im Augenblick oder für immer nützen oder schaden kann. Ich weigere mich jedenfalls, mich einer solchen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. […] Ich wende mich nicht als verärgerter Autor an Sie. […] Ich veröffentliche gegenwärtig Bücher, an denen ich jahrelang gearbeitet habe, ganz einfach deshalb, weil sie fertig sind und ich die nächsten vorbereite. Ich erwarte mir von ihnen keinerlei materiellen Vorteil und keinerlei Ansehen. Ich hoffte nur, mir mit ihnen die Aufmerksamkeit und Geduld zu erwirken, die man jedem ehrlichen Unterfangen zuzubilligen pflegt. Offenbar war auch dieser Anspruch übertrieben. Dennoch erlaube ich mir, Sie meiner aufrichtigen Hochachtung zu versichern.» [164]
    Camus war gut beraten, den Brief nicht abzuschicken. Der in seiner Ehre verletzte Autor mochte anfangs übersehen haben, dass dies keine literarische Kontroverse Mann gegen Mann war, sondern eine weltpolitische Auseinandersetzung im Wasserglas der Literaturkritik: Es gab 1942 keine freie Presse und keine freie Literaturkritik in Frankreich. Es gab auch keine freie Verlagslandschaft. Camus hatte sich dazu bereit erklärt, seinen ersten Roman unter deutschem Besatzungsrecht zu publizieren, und er wurde von Kritikern beurteilt, die entweder unter Aufsicht der nationalsozialistischen Propaganda-Bürokraten standen oder deren Broterwerb von der Willkür des marionettenhaften Vichy-Regimes abhing. Die Ehre gab es nur noch im Untergrund.
    Das Haus Gallimard versuchte nicht ohne Erfolg, sich mit vielen kleinen und großen Kompromissen durch die Zeiten zu manövrieren. Das Besatzungsregime hatte den Verlag am 9 . November  1940 kurzerhand geschlossen und die Türen versiegelt. Unter der Bedingung, dass Pierre Drieu La Rochelle an Stelle von Jean Paulhan die Chefredaktion der renommierten Hauszeitschrift übernahm, durfte Gallimard im Dezember  1940 wieder öffnen. Drieu schien den Nazis der richtige Mann zu sein. [165] Leutnant Heller nahm höchstselbst die Siegel der Türen ab. Das Familienunternehmen in der Rue Sébastien-Bottin, in dem Camus 1943 sein Büro als Lektor beziehen wird, entließ, dem Judenstatut gehorchend, im selben Monat seinen langjährigen jüdischen Geschäftsführer Louis-Daniel Hirsch (der aufs Land zieht und Schafhirt wird) sowie die jüdischen Cheflektoren Robert Aron (der nach London flieht) und Benjamin Crémieux (der nach Buchenwald deportiert wird). Die geräumten Büros bezog nun also Drieu La Rochelle, der dort installierte faschistische Leiter der Hauszeitschrift
Nouvelle Revue Française
, der auf Einladung von Otto Abetz am Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP teilgenommen und im Anschluss das Konzentrationslager Dachau besichtigt hatte.
    Der charmante und sensible

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