Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
waren berechtigt, und Camus wird sie befolgen, anders als Sartre wird er niemals in der Kollaborationspresse veröffentlichen.
Und Pia tat noch mehr, er suchte nach einem Aufenthaltsort in Frankreich für Camus’ angegriffene Gesundheit. Er verhandelte mit Gallimard über eine Verdoppelung der Abschlagszahlungen auf die Tantiemen für den
Fremden
. Er kümmerte sich um die biographischen Angaben für das Buch und einen Vorschuss. Einen besseren und umsichtigeren Freund und literarischen Agenten als Pascal Pia kann man sich nicht vorstellen.
Ein Erfolg von deutschen Gnaden
Im März 1942 geht der erste Zug mit 1100 Juden von Paris nach Auschwitz ab. Von Juni 1942 an müssen die Pariser Juden den gelben Stern tragen. Bei der großen Verhaftungsaktion unter Mitwirkung der französischen Polizei am 15 . und 16 . Juli 1942 – nach dem Sammelpunkt später rafle du vélodrom d’hiver oder kurz rafle du vél d’hiv genannt – werden in Paris 13 000 Juden, darunter 4000 Kinder, verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Hauptmann Ernst Jünger, von dem Camus einmal sagt, er sei der «einzige Mann von höherer Kultur, der dem Nazismus einen Anstrich von Philosophie gegeben hat» [160] , schreibt in sein Tagebuch: «Gestern wurden hier Juden verhaftet, um deportiert zu werden – man trennte die Eltern zunächst von ihren Kindern, sodass das Jammern in den Straßen zu hören war.» Am Tag darauf streift Jünger über den Friedhof Père-Lachaise, gerührt vom «Geheimnis der Grüfte». Über die Pariser Studenten, die sich aus Protest Judensterne mit der Aufschrift «Idealist» und Ähnliches anheften und damit auf den Champs-Élysées spazieren gehen, schreibt er in diesen Tagen: «Das sind Naturen, die noch nicht wissen, dass die Zeiten der Diskussion vorüber sind.» [161]
In der ersten Juniwoche, vier Wochen vor den Ereignissen im Vélodrom, erscheint in Paris
Der Fremde
in einer Auflage von 4400 Exemplaren. Leutnant Heller, der für die Zensur zuständige Sonderführer der NS -Propagandastaffel, erinnerte sich später: «Gaston Gallimard ließ mir im Januar 1942 durch seine Sekretärin Madeleine Boudot-Lamotte das Manuskript des ‹Fremden› überbringen. Damals war ich noch bei der Propagandastaffel (bis Juli), und Gallimard wollte wissen, welchen Eindruck ich von dem Buch hatte und ob er mit einer Veröffentlichung wohl gegen die zwischen französischen Verlegern und deutschen Dienststellen festgesetzten Regeln der Selbstzensur verstoßen würde. Ich ließ alles stehen und liegen und machte mich noch am gleichen Nachmittag an die Lektüre des Manuskripts, das ich erst gegen vier Uhr früh, als ich es ausgelesen hatte, wieder aus der Hand legte. Ich war fasziniert: Dieses Buch brachte einen ganz neuen Ton in die französische Literatur! Im Laufe des Vormittags rief ich Madeleine Boudot-Lamotte an, teilte ihr mein uneingeschränktes Einverständnis mit und bot meine Hilfe an, falls Schwierigkeiten auftreten sollten, um zumindest die nötige Menge Papier zu beschaffen.» [162]
Leutnant Gerhard Heller, ein junger Frankreich-Schwärmer, der sich später unter anderem als Übersetzer von Julien Green einen Namen machen wird, stellte sich zeitlebens als einen entdeckungsfreudigen Romanisten dar, der das Pech hatte, seiner Liebhaberei durch eine bedauerliche Wendung des Schicksals in der Uniform des deutschen Faschismus nachgehen zu müssen, zu dem er sich auch in seinen späteren Memoiren keine ausdrückliche Meinung gestattete. Geradezu unfassbar ist die Einfalt, mit der er noch in den 1980 er Jahren die prachtvollen Champagner-Empfänge der reichen Amerikanerin Florence Gould rühmte, auf denen er von April 1942 an zwischen Friedrich Sieburg, Ernst Jünger, Jean Cocteau, Jean Paulhan, René Delange, Marcel Arland, Henry de Montherlant, Jean Giraudoux oder Jean Jouhandeau in der Avenue Malakoff an schwarzen Lacktischen Platz nahm, während auf den Straßen jüdische Kinder nach ihren Eltern schrien und Zehntausende deportiert wurden.
Dennoch hat Heller im Jahr 1942 nicht nur den
Fremden
, sondern auch Antoine de Saint-Exupérys
Flug nach Arras
genehmigt und sich, wo er konnte, der offiziellen deutschen Besatzungspolitik entgegengestellt, die die französische Kultur insgesamt lieber kleinhalten als fördern wollte. [163]
Camus hat kein Glück: Wenige Wochen nach dem Erscheinen des
Fremden
hustet er wieder Blut. Die Krankheit ist mit Macht zurückgekehrt. Im Sommer 1942 fährt er in
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