Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
Drieu – Marguerite Duras nennt ihn in den noch unveröffentlichten Anmerkungen zu ihrem Roman
Der Liebhaber
«schön wie ein arischer Römer mit einer Haut aus Alabaster» [166] – stand zwar eindeutig aufseiten der Nationalsozialisten, dennoch blieben die Fronten im Hause Gallimard in den Besatzungsjahren unübersichtlich. Der NS -Zensuroffizier Heller war gewissermaßen ein Mitglied des Lektorenkomitees. Der junge Gallimard-Lektor Dionys Mascolo gehörte zur Résistance und hielt in seiner Schreibtischschublade stets einen Revolver bereit. Ramon Fernandez, ein gebildeter Schöngeist mit einer Leidenschaft für Rennwagen, hatte sich offen auf die Seite der Kollaborateure geschlagen und publizierte in der Hetzpresse der französischen Faschisten, deren Partei er angehörte. Der faschistische Drieu arbeitete Tür an Tür mit dem ebenfalls im Widerstand engagierten Lektor Jean Paulhan, der ihm jederzeit und freigebig mit Rat und Tat behilflich war und seinerseits freundschaftlichen Umgang mit Leutnant Heller von der deutschen Propagandastaffel pflegte.
Auch Drieu und Heller arbeiteten eng zusammen – und nicht immer in die vom Besatzerregime gewünschte Richtung. Drieu begleitete Heller gemeinsam mit Ramon Fernandez (Gallimard), André Fraigneau (Grasset), Robert Brasillach (Denoël), Jacques Chardonne (Stock), Marcel Arland (Gallimard) und Paul Morand (Gallimard) im Oktober 1940 zum Schriftstellerkongress nach Weimar. Er bedrängte Heller, unter allen Umständen für die Freiheit von Gaston Gallimard, André Malraux, Louis Aragon und Jean Paulhan zu garantieren. Drieu selbst nutzte seine Beziehungen, um Paulhan im Mai 1941 aus der Gestapohaft zu befreien, nachdem dessen Verbindungen zur Résistance entdeckt worden waren. Wenn Paulhan 1944 erneut denunziert wird, warnt Heller ihn angeblich vor. Nach der Befreiung kann er nichts mehr tun – Drieu nimmt sich am 16 . März 1945 das Leben, während der ehemalige NS -Offizier Heller einem friedlichen Lebensabend in Baden-Baden entgegensieht, wo er sich als Mitbegründer des später von Karl-Heinz Bohrer und Kurt Scheel geführten
Merkur
verdient machen wird.
Im literarischen Paris des Jahres 1942 ist Camus’ Essay über den Heroismus des Duldens und Durchhaltens in aussichtsloser Lage keine Provokation. Im Gegenteil:
Der Mythos des Sisyphos
, der vor dem ZWEITEN Weltkrieg konzipiert wurde, erscheint der Propagandastaffel in seinem unspezifischen Leidensstolz als ganz und gar ungefährlich. Es ist nicht überliefert, wie Camus es aufgenommen hat, dass der NS -Zensor Heller im Herbst 1942 seinen
Sisyphos
als «völlig unpolitisch» durchwinkt. Da hatte Gallimard bereits mit Zustimmung Camus’ in vorauseilendem Gehorsam das Kapitel über den Juden Franz Kafka entfernt.
Der aufrechte Pascal Pia hatte vorgeschlagen, den Text in der französischen Schweiz unverstümmelt zu publizieren, doch Camus – dessen ausgeprägte Empfindsamkeit für die Fragen von Ehre und Moral hier schweigt – entscheidet sich für die Publikation der selbst zensierten Fassung im besetzten Paris bei Gallimard. Das Kafka-Kapitel wird durch ein neues über Dostojewskis Romanfigur Kirilov ersetzt. Als Text für die Banderole schlägt Camus dem Verlag die Zeile «Sisyphos oder das Glück in der Hölle» vor. Der Essay über das Absurde erscheint am 16 . Oktober 1942 , vier Monate nach dem
Fremden
, drei Monate nach dem Beginn der Massendeportation der Pariser Juden nach Auschwitz.
Von der Gleichgültigkeit zur Revolte – der Mensch im Widerstand
Camus liefert seiner Zeit das entscheidende, gefährliche Schlagwort: Gleichgültigkeit. Ob zärtlich oder heroisch gestimmt, die Gleichgültigkeit, deren archaischem Zauber er zum ersten Mal bei seiner alles still erduldenden Mutter erlegen ist, beschreibt im Pariser Sommer 1942 eine Form der Schicksalsergebenheit, die den nationalsozialistischen Aufsichtsbehörden, um das Mindeste zu sagen, nicht missfallen hat. In seinen Vorschlägen für die Verlagsanzeige erklärt Camus das Absurde zu einer Zeitkrankheit, einem «Mal du Siècle». Der
Sisyphos
, heißt es da, sei eine Diagnose der Leiden der Gegenwart, gewissermaßen eine Bestandsaufnahme des zeitgenössischen Nihilismus. Diesem könne man nicht entkommen. Weder die Rückkehr zur guten alten Zeit noch das sogenannte «natürliche» Leben und schon gar nicht die Religion empfählen sich als Arznei gegen die Hoffnungslosigkeit.
Camus gibt sich als nüchterner Arzt, der seinem
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