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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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für Punkt werden die Gegner widerlegt. Er ist da furchtbar akkurat. Breton nennt er einen «Unwissenden», der Diskussionen auf einem «erbärmlichen» Niveau anzettele. [234] Dem Rezensenten der katholischen Zeitung
Dieu vivant
bescheinigt er, dass sein Beitrag «indiskutabel» und «vermessen» gewesen sei. [235] Als der
Observateur
sich herausnimmt, einen Kritiker Camus’ in einem Nebensatz lobend zu erwähnen, schickt der einen fünfseitigen Brief, in dem er richtigstellt, wie «abstoßend» und «verachtenswert» der Text dieses Kritikers gewesen sei. [236] Und so geht das weiter. Die Lehre aus der Résistance, dass Worte töten konnten, saß tief; Camus nahm die Angriffe auf sein Buch tatsächlich tödlich ernst.
    In der Redaktion der
Temps modernes
weiß man nicht so genau, wie man mit diesem Rechthaber umgehen soll, der seine Widersacher leserbriefweise als «Lügner» und «Verleumder», sich selbst jedoch als jemand bezeichnete, der «sorgsam nach der Wahrheit unserer Zeit und der Freiheit für uns alle sucht» [237] . Sartre möchte am liebsten gar nicht erst eine Kritik des
Revolte
-Essays bringen. Niemandem in der Redaktion gefällt das Buch, aber es hat auch niemand Lust, einen Verriss zu schreiben. Am Ende hält Sartre es für noch unhöflicher, das Buch überhaupt nicht zu besprechen, und betraut den 29 -jährigen Mitarbeiter Francis Jeanson mit der Sache – der mache das zumindest höflich, hieß es.
    Im Mai  1952 , ein dreiviertel Jahr nach der Publikation des Buches, erscheint Jeansons Kritik in den
Temps modernes
. Sie ist tendenziös, phrasenhaft und nicht wirklich scharf. Sie verübelt Camus seine guten Kritiken in der bürgerlichen und rechten Presse, bescheinigt ihm eine «gewisse Inkonsistenz des Denkens», erregt sich über seinen «vagen Humanismus», ohne seine Parteinahme für den französischen Anarcho-Syndikalismus und die russischen Sozialrevolutionäre überhaupt zu erwähnen, und belehrt ihn darüber, dass es unmöglich sei, aus der Geschichte auszusteigen («der ‹Lauf der Welt› ist zugleich unser eigenes Werk und unser Gefängnis»). Die Kritik lag ganz auf der prosowjetischen Linie der
Temps modernes
, deren Vordenker Sartre und Merleau-Ponty sich darin einig waren, den sowjetischen Terror zähneknirschend hinzunehmen, solange er den in der Rue Bonaparte für notwendig erachteten geschichtsphilosophischen Prinzipien entsprach. Der junge Kollege schloss mit der Kritikerphrase,
Der Mensch in der Revolte
sei ein «großes misslungenes Buch». [238]
    Camus hätte diese kleine misslungene Kritik in einer Pariser Intellektuellenzeitschrift mit beschränkter Reichweite auf sich beruhen lassen können, und sie wäre längst vergessen. Doch das kann er nicht. Es herrscht Kalter Krieg. Man versucht, ihn ins bürgerliche Lager abzudrängen, man macht aus ihm einen mit dem Rückzug aus der Gegenwart kokettierenden Hampelmann, man unterschlägt seinen Kampf für die anarchistische Linke, man tut so, als gäbe es links von der Mitte nichts als orthodoxen Marxismus. Camus wehrt sich – «Monsieur le directeur» – auf 17  Druckseiten. Er stellt richtig, er ergänzt, er zitiert sich selbst, von seinem Angreifer spricht er ausschließlich als «der Rezensent», «der Mitarbeiter», «der Redakteur». Obwohl der Brief an Sartre adressiert ist, wendet er sich nie direkt an ihn. Camus hat zwar recht, doch er bekommt es nicht. Alles in allem bleibt es ein glückloser Schlagabtausch, ohne Fortüne auf beiden Seiten.
    In dieser verfahrenen Lage greift Sartre ein und entscheidet die Partie für die nächsten fünfzig Jahre für sich. Seine Antwort ist beleidigend, glänzend formuliert und eine strategische Meisterleistung. Sartre wechselt sofort das Register und desavouiert Camus mit seinem steifen Monsieur-le-directeur-Gehabe: «Mein lieber Camus, unsere Freundschaft war nicht einfach, aber ich werde sie vermissen». [239] Sein Angriff ist raffiniert und überaus wirksam, denn er richtet sich nicht nur gegen ein seiner Ansicht nach verunglücktes, wirres Buch, sondern gegen die Voraussetzungen eines ganzen Werks, das sich zu Unrecht anmaße, im Namen der Armen und Aufrechten zu sprechen. Dieser angemaßten Bruderschaft der Aufrechten gehöre in Wahrheit nämlich niemand außer Camus selber an. Er, Sartre, könne nun leider so gar nichts anfangen mit Camus’ «mittelmeerischem oder sonstigem Maß» und noch weniger mit seinen «skandinavischen Republiken». Darüber hinaus missfalle ihm der

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