Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)
Nord- und Südamerika, die Verletzungen durch die Pariser Barrikadenkämpfe nach der Publikation des Essays – all das, was ein bewegtes, urbanes Intellektuellenleben in diesen Jahren ausmacht und beflügelt, lähmt ihn nur.
In den wenigen Filmaufnahmen, die es von ihm aus dieser Zeit gibt, begegnet man einem tadellos gekleideten, seiner selbst sehr sicheren Menschen, der mit Leichtigkeit und einer Spur ironischer Blasiertheit einen Text aufsagt, der so einstudiert wirkt, als spiele ein Schauspieler den erfolgreichen Autor Albert Camus. Das berühmte Foto des Magnum-Fotografen Henri Cartier-Bresson, dem sich Camus’ Ruf als Humphrey Bogart der Literatur verdankt, zeigt einen ein bisschen zu gut frisierten, leicht über sich selbst amüsierten, grandiosen Selbstdarsteller.
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1944 , aufgenommen von Henri Cartier-Bresson
Doch hinter dieser kontrollierten, unnahbaren Medienikone steckt ein Mensch, der nicht mehr gern der ist, der er ist; und nicht mehr leben will, wo er lebt. An René Char schreibt er: «Paris wird mehr und mehr zu einem Krankenhaus, in dem alles denselben Geschmack und denselben Geruch hat.» [250] In der Rue de Chanaleilles nimmt er das Telefon nicht mehr ab. Char, der bei seinen Parisaufenthalten im selben Haus wohnt, schiebt gelegentlich einen Antwortbrief unter der Tür durch. Camus möchte sein Leben «auf das Wesentliche beschränken». [251]
In dieser Lage veröffentlicht er 1954 ein kleines Buch, das zu seinen schönsten überhaupt zählt:
Heimkehr nach Tipasa
(
L’Été
). Mit diesem damals wenig beachteten Nebenwerk, das auf seine kurzen Besuche in Algerien zurückgeht, versucht er an das nietzscheanische «Ja zur Erde» seiner frühen poetischen Algerienessays
Noces
(
Hochzeit des Lichts
) von 1938 anzuknüpfen. Doch zwischen den beiden Büchern liegen ein Weltkrieg, das Pariser Exil, der Kalte Krieg, eine unglückliche Ehe, eine internationale Autorenkarriere und das Café de Flore – Camus kommt nach Hause wie eine Figur Heinrich von Kleists, die die Reise um die Welt gemacht hat und sehen möchte, ob das Paradies vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.
Es ist weiterhin ein europäisiertes Algerien, das Camus in diesen Essays und Städteporträts feiert: In Algier promenieren leicht gekleidete Mädchen auf den Boulevards; Oran wird als Stadt «ohne Vergangenheit» bezeichnet, was nur heißen kann, dass die Vergangenheit der algerischen Ureinwohner für den Autor noch immer nicht zählt.
In den später entstandenen Texten des Bandes verbringt ein Gereifter und Gealterter ein paar romantische Ferientage, um das Land der Griechen, seine Seelenheimat («patrie de l’âme»), mit dem Mietauto zu suchen. Nach zwanzig Jahren steht er im strömenden Regen erneut in Tipasa, der römischen Ruinenstadt, zwischen den roten Säulen und erzählt sein Leben vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bis zu diesem Tag:
«Am 2 . September 1939 war ich nicht, wie ich sollte, nach Griechenland aufgebrochen. Der Krieg hingegen war bis zu uns gedrungen und hatte dann auch Griechenland überflutet. […] Aufgewachsen im Anblick der Schönheit, die mein einziger Reichtum war, hatte ich in der Fülle begonnen. Dann war der Stacheldraht dazwischengekommen, das heißt die Tyrannei, der Krieg, die Polizei, die Zeit der Revolte. Man musste mit der Nacht leben lernen: die Schönheit des Tages war nur noch eine Erinnerung. Und in diesem schlammigen Tipasa verwischte selbst die sich noch. Aber es gab sie doch wirklich einmal, die Schönheit, die Fülle und die Jugend! Im Schein der Feuersbrünste hat die Welt plötzlich ihre Falten und ihre Wunden gezeigt, alte und neue. Sie ist mit einem Schlag gealtert und wir mit ihr. […] Dann ging ich nach Paris und blieb einige Jahre, bevor ich wieder heimkam. Doch spürte ich dunkel in all diesen Jahren, wie mir etwas fehlte. Wer je das Glück gehabt hat, einmal heftig zu lieben, wird sein Leben verbringen auf der Suche nach dieser Glut und diesem Licht. Der Verzicht auf die Schönheit und auf das sinnliche Glück, das mit ihr verbunden ist, der ausschließliche Dienst am Unglück verlangen eine Größe, die ich nicht habe.» [252]
Er fuhr noch ein zweites Mal nach Tipasa. Diesmal war das Wetter klar. Zwischen den verwitterten Steinen und wilden Wermutsträuchern hindurch sah er das in der weißen Dezembersonne gleißende Meer. Die Vögel sangen, die Eidechsen raschelten durchs Gras. Der lang entbehrte Zauber stellte sich ein, die Ekstasen
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