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Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition)

Titel: Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Radisch
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neuerlich Angegriffene wehrte sich scharf und meinte eigentlich Sartre, wenn er schrieb: «Man kann mich nicht beschuldigen, die Geschichte zu verleugnen, indem man gleichzeitig behauptet, die einzige Bedingung, unter der man in die Geschichte eintritt, bestehe darin, die Tyrannei zu rechtfertigen». An Barthes gerichtet, fügte er begütigend hinzu: «Sie haben das nicht gemacht, ich weiß.» [243]
     
    Die Bugwellen dieses Zusammenstoßes der beiden Existenzialisten blieben noch für mindestens zwei Generationen von Intellektuellen spürbar, die zu wissen meinten, dass Camus zwar ein guter Schriftsteller, aber ein schlechter Denker gewesen sei. Am Ende hat die Geschichte Sartre unrecht gegeben. Und Camus in allem bestätigt.
    Nach  1989 begann man in Paris zwar langsam, Camus’ Antitotalitarismus zu würdigen, man ergriff jedoch weiterhin für Sartre Partei, wenn es darum ging, Camus’ Natur- und Geschichtsauffassung zu demontieren und den Zusammenhang beider zu bestreiten. Alles in allem blieb man dabei: Mit Sartre zu irren war besser, als mit Camus recht zu behalten. [244]
    Skandalös lange hat es gedauert, bis sich die Einsicht durchsetzte, dass es nicht nur falsch war, Camus’ Antikommunismus, sondern dass es ebenso falsch war, sein Naturverständnis, seinen politischen Anarchismus und seine Wachstumskritik für rückständig und die Bewohner von Billancourt zum einzig zulässigen Maßstab der Welterkenntnis erklärt zu haben. Es ist aber nie zu spät, ein falsches Urteil zu revidieren.

Heimkehr nach Tipasa
    Camus ist auf dem Rückzug – das hatte Sartre richtig erkannt. Paris, das sind Maria und Francine, Sartre und Beauvoir (die ihn in ihrem Schlüsselroman
Die Mandarine von Paris
bloßstellen wird), sind seine Freunde, die Gallimards, seine Sekretärin, die «Labiche», die lichtlose Wohnung in der Rue Madame und die zwei kleinen Zimmer nebst Küche in seiner möblierten Junggesellenunterkunft in der Rue de Chanaleilles  4 , dritte Etage, in denen Camus jetzt vor allem wohnt. Die Schlacht mit Sartre ist das Ereignis der Saison  1953 gewesen. Und niemand – außer seinem Freund Michel – hatte sich im Sartre-Verlag Gallimard offen auf seine Seite geschlagen. Dem Mannschaftsspieler fehlt sein Team. Seit Camus den
Combat
verlassen hat, fühlt er sich Jahr für Jahr einsamer. Aber er hat noch eine wichtige Verabredung mit sich selbst.
    Zweimal fährt er zu Beginn der fünfziger Jahre nach Algerien – ein Mann im vorgerückten Alter auf der Suche nach den magischen Orten seiner Jugend, auf der Suche nach sich selbst, nach neuem Leben und alten Wahrheiten. Er fährt allein im Wagen durch die menschenleeren südlichen Territorien des Atlas und die Wüstenstädte der Sahara. Er läuft im Winterregen die Strände ab, besucht die alten Cafés, sieht in die alt gewordenen Gesichter und erschrickt vor den matronenhaften Bäuchen seiner Freundinnen von einst. Camus weiß natürlich, dass man nie zurückkehren kann. Das französische Algerien mochte hundert Jahre alt sein, doch nach dem Massaker von Sétif sah man nun überall die Fahne mit dem algerischen Stern und dem Halbmond wehen. Das Algerien, in dem Camus jung war, gibt es nicht mehr. Was er sucht, nennt er deswegen auch nicht «patrie», Heimat, sondern «terre natale», die Erde seiner Geburt, die geistige Landschaft, in der er zu Hause ist. In einem späteren Vorwort zu seiner algerischen Jugendprosa
Licht und Schatten
spricht er von der «Quelle in seinem tiefsten Inneren», vor deren Versiegen er sich in diesen Krisenjahren am meisten fürchte.
    «Jeder Künstler besitzt nämlich in seinem tiefsten Inneren eine einzige Quelle, die sein Leben lang speist, was er ist und was er sagt. Wenn die Quelle versiegt, sieht man das Werk allmählich krustig und rissig werden. Undankbarer Boden der Kunst, den der verborgene Strom nicht mehr berieselt! Das Haar wird spärlich und spröde, der stoppelbekränzte Künstler ist reif für das Schweigen – oder die Salons, was auf das Gleiche herauskommt.» [249]
    Camus ringt um sein künstlerisches Überleben. Die
Pest
liegt fünf Jahre zurück. Die Pariser Aufführungen seiner Stücke
Das Missverständnis
( 1944 ),
Der Belagerungszustand
( 1948 ) und
Die Gerechten
( 1949 ) waren zum Teil zwar gut besucht, bei der Kritik jedoch durchgefallen. Die anstrengende Arbeit am
Revolte
-Essay, das unermüdliche Engagement für verfolgte Intellektuelle, Anarchisten und Kriegsdienstverweigerer, die Vortragstourneen durch

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